Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Quellen - Bruder Klausund Dorothea
  
  
Hans Salat (2) – die Legende
  
Quelle Nr. 233

  

  
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Zeit: 1536
  
Herkunft: Quartausgabe von 23 bedruckten Blättern (1537), einziges Exemplar in der Kantonsbibliothek St. Gallen (ehemals Vadiana), Nachrucke: von J. Schiffmann, Geschichtsfreund 23, 107–153, und von J. Bächtold, Hans Salat, ein schw. Chronist und Dichter, Sein Leben und seine Schriften, Basel 1876, 136–172
  
Kommentar: Anfängliche biographische Einzelheiten über Hans Salat sind zu erfahren in der vorangegangenen Quelle 232. 1540 wurde Salat wegen Liederlichkeit und Schuldenmacherei von seinem Amt als Gerichtschreiber in Luzern abgesetzt. Er verliess Luzern ohne Frau und Kinder und zog in französische Kriegsdienste. Schliesslich kehrte er 1543 in die Schweiz zurück und liess sich in Freiburg nieder. Hier wirkte er als Schulmeister, dann rückte er wieder ins Feld, diesmal unter kaiserlicher Fahne und amtete als Schreiber des Luzerner Hauptmanns Niklaus Fleckenstein. Wieder zurück in Freiburg war nochmals eine Zeit lang Lehrer und nebenbei Dichter und Regisseur von Schülertheatern. 1547 wurde er als Lehrer abgesetzt, weil er seine Knaben ein unpassendes Stück spielen liess. Hans Salat wollte nun die Arzneikunst lernen. Es fehlte ihm jedoch an Geduld. Zuletzt wandte er sich der Wahrsagerei, Magie und Alchemie zu. Arm und völlig entgleist starb er in Freiburg am 20. Oktober 1561.
  
Der letzte Abschnitt seines Lebenslaufes hatte Folgen. 1591 beim Sarner Prozess zur Heiligsprechung von Bruder Klaus wurde seine «Legende» überhaupt nicht berücksichtigt. Ulrich Witwyler, Benediktiner in Einsiedeln und dort 1571 auch Pfarrer, ab 1585 sogar Abt, erkannte, wie zu vermuten ist, den inhaltlichen Wert der Legende Salats, wusste jedoch auch, dass dessen Name keinen guten Ruf hatte, darum entschloss er sich, die Arbeit Salats zu übernehmen und mit ein paar Ergänzungen unter seinem eigenen Namen herauszugeben (Quelle 262). Das Werk von Hans Salat wurde also nur auf Umwegen im Sarner Prozess 1591 und in den weiteren Kanonisationsprozessen berücksichtigt.
  
Die «Legende» von Hans Salat wurde jedoch noch zu seiner Luzerner Zeit, als sein Ruf noch unbeschädigt war, unter seinem Namen gedruckt. Dem Inhalt nach ist vieles darin aus der Biographie von Heinrich Wölflin (Quelle 072) entnommen, den er auch in seinem Text namentlich nennt. Zumindest der Drucker muss dann aber auch die Chronik von Hartmann Schedel (Quelle 060) gekannt haben, von dem der Holzschnitt nachgebildet wurde. Gegen Ende des Textes macht Salat eine Zeitangabe bezüglich der Niederschrift: im 1536. Jahr.
  
In Hans Salats «Legende» befindet sich nun das berühmte Mahnwort: «Macht den Zaun nicht zu weit!». Dem Sinn nach hat Salat damit nichts Originelles hervorgebracht. Denn bereits mehr als 20 Jahre früher (spätestens 1513) schrieb Trithemius (Quelle 204), Abt in Spanheim, später in Würzburg, von dieser Mahnung aus dem Munde von Bruder Klaus, nur verwendet er dort statt des Wortes «Zaun» lediglich den Begriff «Grenzen». Aber, wie dem auch sei, die Redewendung vom Zaun sollte nicht nur im politischen Kontext Geltung haben, es handelt sich vielmehr um eine allgemeine Lebensregel: Bescheidenheit bringt am Ende mehr Erfolg als Grosstuerei. – Bei Salat findet sich die oft strapazierte Mahnung «Mischt euch nicht in fremde Händel!» jedenfalls nicht wörtlich, sie ist in diesem Wortlaut eine spätere Dichtung und geht kaum authentisch auf Bruder Klaus zurück. – Trotzdem beide Mahnungen, ob in diesem Wortlaut authentisch oder nicht, haben ihren Sitz im Leben des Einsiedlers. Aber was, wie und wo wäre dann der dazugehörende Kontext? Angesprochen sind jedoch wohl zuerst einmal die eigenen Landsleute in Obwalden, insbesondere in der spaltenden Politik im Amstaldenhandel, Sommer und Herbst 1478 (Quelle 014). Leute und Ratsherren in Obwalden, allen voran Bürgler und Küenegger, förderten die Abtrennung des Entlebuch von Luzern und den Anschluss als dritter Teil von Unterwalden. Die Separation wurde geleitet durch Peter Amstalden in Schüpfheim, eben noch Hauptmann in der Schlacht bei Grandson. Die Obwaldner Landsleute wollten Bruder Klaus für ihre Ziele einspannen, was dieser jedoch ablehnte.
  
Referenz: Robert Durrer, Bruder Klaus-Quellenwerk, 668–691

  

   Rechte, wahre Geschichte, Legende und Leben des frommen, andächtigen Nikolaus von Flue, geborener Landmann ob dem Wald in Unterwalden, in der Eidgenossenschaft, den man nennt Bruder Klaus, als ein starkes, wahres, wohlbegründetes Fundament des alten wahren Christenglaubens, bewährt durch sein Leben, Taten, Lehre und Sterben.
  
J. S. G. S. Z. L. [Johann Salat, Gericht-Schreiber zu Luzern].
  
MDXXXVII [1537, Datum der Drucklegung – die Niederschrift erfolgte jedoch bereits 1536]
Vermerkend Bruder Klausens Figur:
Er war lang, schön und hübscher Statur,
Gute Gliedmass’ doch ganz gemergelt ab,
Die Haut den Gebeinen Durchscheinen gab;
Seine Farbe wohlgestalt und braun fürwahr,
Gut schwarz mit grau besprengt sein Haar,
Sein Bart zerteilt, nicht weit noch lang,
Schöne Augen fast schwarz, und nach aussen drang'
Von seinem Gesicht ein merklich’ Glanz
Ehrwürdig und schreckhaft ganz;
Seine Hals und Halsadern hohl,
Er hatte eine stark männliche Stimme,
Seidig langsam ging sein’ Red von ihm;
Auch lieblich und freundlich allen allezeit,
Dafür ihm Gott seine Belohnung gibt.
  
Holzschnitt: BK am Brunnen
[Holzschnitt, nachgebildet dem in der Weltchronik von Hartmann Schedel – Quelle 060]
    
Vorrede zur Geschichte des frommen seligen Bruder Klaus, Landmann ob dem Wald in Unterwalden.
  
In der ganzen deutschen Nation kriechen und gehen etwas gar dunkle Lumpen [Bruchstücke] und Sagen umher über den frommen, seligen Mann und Gottesfreund Bruder Klaus von der Flüe in Unterwalden ob dem Wald, einem Ort, der Zahl und Reihenfolge nach der sechste. Er war ein Landmann. Gute und gründliche Berichte fehlen oder werden zurückgehalten. Auch bei uns Eidgenossen wird zum Teil zu wenig an Bruder Klaus gedacht, weder mit Schriften noch besonders mit Chroniken [Geschichtswerke]. Dass bei den ausländischen Chronikschreibern mehr als bei uns getan wird, ist eine sträfliche Nachlässigkeit.
  
Obwohl man meint, niemand wolle seinen Ruhm oder den seiner Familie fördern und suchen, weil man befürchtet, dass es zur Hoffahrt führen würde, sollte man trotzdem die grossen Güte und Gnade Gottes nicht vergessen, die er durch den erwähnten Bruder Klaus wirkte. Man sollte darüber nicht schweigen, sondern vorwärts machen mit grosser Danksagung, die Ehre Gottes in seinen Auserwählten hoch ausrufen und weit ausbreiten, so wie König David [Negus David III.] aus Äthiopien in seinem Brief an Papst Clemens VII. schrieb, im drei und dreissigsten Jahre, als er seinen Namen und den des Königreichs [in der Chronik Salats heisst das Königreich «Ägypten»] geltend machte: Obwohl wir diesem unserem Königreich und dem Land den Namen gaben, geschah das dennoch weder aus Hoffahrt noch aus Hochmut, sondern damit Gott der Allmächtige mehr und mehr gelobt werde, der aus seiner besonderen Gnade uns so grosse Wunder erweist etc. [das Zitat und auch die folgenden Sätze befinden sich genau so auch in der Chronik Quelle 232]. Denn wenn man die Taten Gottes in dem und dem beschreibt, ausruft und an den Tag bringt, dann versteht ein jeder Rechtgesinnter die Ehre Gottes und wohl auch dieses und jenes, worin Gott wirkte, als Instrument, um die Ehre Gottes zu ermessen und nicht die der Kreatur. Dem Böswilligen ist jedoch seine Bosheit durch Verschweigen nicht zu nehmen. Und wenn man also die grossen Wunderwerke und hohen Taten Gottes verschweigt und in denen nicht jubiliert zum Lobe Gottes, so sieht dies Gott, und alle verstehen es als grosses Laster der Undankbarkeit. Darum haben wir nun hier Ort, Platz, Fug und willkommene Zeit, den genannten frommen, lieben Bruder Klaus also nicht länger im Staub des Verschweigens bleiben zu lassen, einem grossen Instrument, womit Gott sein Erbarmen, Gewalt, Gnade, Kraft, Tugend und Besitand erzeugt und ausübt, so vollkommen wie er es sonst mit keinem sterblichen Menschen von Anfang der Welt her je vollbrachte.
  
Es haben auch früher schon etliche [Menschen] durch ein Wunder ohne Speise gelebt, etwa Moses, Elias und Christus unser Herr, welche, der erste zweimal, die beiden andern jeder einmal vierzig Tage und Nächte ohne natürliche Speise verblieben und gelebt.
  
Item, Sankt Hieronymus machte seinen Leib ganz mager durch Abstinenz, brauchte aber dennoch Speise.
  
Item, so zeigt es Sant Hor an, er wusste einen Menschen in der Einöde, der während dreier ganzen Jahre nie leibliche Speise und Trank genoss, doch immer am dritten Tag brachte ihm ein Engel vom Himmel etwas Speise.
  
Item, aber dann von einem büssenden Menschen, der sogar sieben Jahre keine leibliche Nahrung brauchte, als allein an den Sonntagen etwas Brot.
  
Item, gar grosser und schwerer Enthaltsamkeit und leichtgewichtiger Speise lebte der Einsiedlier Hilarion, jedoch nicht ganz ohne Speise und Nahrung. Maria von Ägypten hatte gebüsst in der Wildnis dreissig Jahre lang mit nur wenig aber dennoch nicht ohne Speise.
  
Item, eine Jungfrau, zwölf Jahre alt, lebte nach dem Empfang des hochwürdigsten Sakraments, sechs Monate lang allein bei Wasser und Brot, danach noch drei ganze Jahre lang ohne alle Speise und Trank. In Historien liesst man auch, dass eltiche zwei, etliche mehr Jahre ohne natürliche Speise und Trank gelebt haben, ebenso in den Biographien der Väter [Kirchenväter] von rauher, harter Abstinenz oder wenig Speise, aber hin und wieder etwas [wenige].
  
Doch allein unser Bruder Klaus, wie man hören wird, hatte sich erhalten ohne jegliche natürliche Speise und Trank, durch ein Wunder und allein aus göttlicher Kraft, die ausfliesst aus seinem wahren, rechten, starken Christenglauben. Auch heute noch ist er [Bruder Klaus] das allerstärkste Fundament, die Grundlage und Ausübung des wahren, rechten Christenglaubens, darin er geboren wurde, lebte und starb. Das bezeugen auch die ausländischen Geschichtsschreiber mit mit Lobpreisungen und Ehren in ihren Schriften.
  
Dies ist nun eine echte, wahre und gottgefällige Geschichte, hilfreich auch für den rechten Christenglauben. Darum ist es nützlich und notwendig von Nöten, diese keineswegs zu übergehen, als ein Beispiel jeglicher Frömmigkeit, Ehrbarkeit und rechten Glaubens. Niemand unterstehe sich, diese zu hintertreiben, auch nicht zu verdrängen oder zu verdrehen, denn sie ist eine deutliche, klare Geschichte, so wie sie hernach folgt:
   
[*1] Erstens merkt euch, alt und jung
Bruder Klausens Geburt und Ursprung.
  
Noch in diesen, unseren Zeiten gibt es Menschen, die mit dem frommen, Gott liebenden Bruder Klaus mündliche Unterhaltungen hatten, seine Hand halten und von ihm Belehrungen empfangen konnten. Wenn die Beschreibung der Geschichte so viele frische Taten und Erinnerungen enthält und nicht auf andere Weise daherkommt, so darf man nicht desto weniger und unter keinen anderen Umständen eine andere Grundlagen der Geschichte haben, als die folgende:
  
In deutschen Landen, im hochlöblichen alten Bund der Eidgenossen ob dem Wald in Unterwalden, gegenwärtig in der Reihenfolge und Zahl nach der sechste Ort der erwähnten Eidgenossenschaft, lebte eine ehrenhafte Familie, ehrbar und gottesfürchtig. Etliche hundert Jahre existierte ihr Geschlecht, wo mehr Sitten als Reichtum blühten und aufschienden, beim Berg, wo sie ihre Alpen, Weiden, Wohnung und Nahrung hatten. Sie hiessen «Flüher» oder die «von Flüe» und heissen es noch. Sie hatten reichlich Nahrung und lebten dennoch massvoll. Ausser dem Anbau des Erdreiches und der Viehzucht hatten sie keinen anderen Erwerb. Niemanden zu verletzen, sondern allen und besonders den Nachbarn zu dienen und Gutes zu tun, waren sie gewohnt und - was dann auch ein Anzeichen der künftigen Sache war -, hingen vor allen anderen Tätigkeiten am fleissige Gebet und an der Ordnung der christlichen Kirche. Aus diesem Geschlecht wurde im Jahr von der Geburt unseres lieben Herrn Jesus Christus 1417 dem Heinrich von der Flüe und der Hemma seiner Hausfrau, den milden frommen Eltern, unser Nikolaus geboren, von dem nun weiter die Rede ist.
  
[*2] Ein Gesicht ich von unserem Bruder schreib’,
Das er gehabt im Mutterleib.
  
Als Bruder Klaus nun empfangen war und verschlossen im Leib seiner Mutter lag, sah er einen Stern am Himmel, der an Schönheit andere Sterne übertraf, von dessen Strahlen die ganze Welt erleuchtet wurde. Diesem glich, wie es ihn dünkte, später ein Stern, den er sah in seinem Leben und seiner Existenz im Ranft - wie er es selbst bekannte -, so sehr, dass er meinte, es müsse eben dieser Stern sein, den er im Mutterleib gesehen hatte. Er habe auch einen grossen schönen Stein gesehen, ebenso das heilige Öl, womit man die Kranken versorgt. Dies alles sagte er später, als er in der Wildnis wohnte seinem besonders vertrauten Priester [Heimo Amgrund, Pfarrer in Kriens, dann in Stans], der dies später ohne Ruhmsucht anzeigte [öffentlich bekannt und zu Protokoll gab, siehe Sachsler Kirchenbuch, Quelle 053]. Es war ein Anzeichen seines nachfolgenden Lebens.
    
[*3] Von seiner Geburt, Namen und Tauf',
Gehandelt als nach jetzigem Lauf.
  
Er offenbarte dabei auch , dass er sehr gut seine Mutter und die Hebamme erkennen konnte und dass er durch einen felsigen Ort, durch den Ranft, wo er zuletzt sein Leben verbrachte, nach Kerns getragen wurde, zur Taufe. Er habe alles deutlich erkannt, was damals geschah, und habe es nie mehr vergessen: den Priester, der ihn taufte, auch Pate und Patin, die er [später], ohne vorzustellen, kannte. Dazu habe er unter anderen einen alten Mann gesehen, der bei der Taufe stand, der sei ihm völlig unbekannt. Da wurde ihm auch der Name Nikolaus gegeben und aufgesetzt, nicht ohne göttliche Anordnung.
    
[*4] Wie Bruder Klaus, der sel'ge Mann,
Seine Kindheit und Jugend nahm an.
  
Als nun Bruder Klaus, wie bereits erwähnt, geboren und getauft wurde und ins Kindesalter kam, war er das allerbeste Kind, mit besonders guten Sitten begnadet. Er handelte treu nach dem Rat des Vaters und den elterlichen Warnungen. Er war besonders wahrheitsliebend, auch mild und gütig zu allen. Bei wurde auch keine Anzeichen gefunden von zuchtlosem Umherschweifen und Leichtsinnigkeit, wie es Gewohnheit ist bei den Jungen unserer Zeit. Er ehrte auch seine Eltern und die Alten mit fleissiger Dienstbarkeit. Die Gleichaltrigen und Kameraden mahnte er vornehmlich zum Gottesdienst, besonders aber seine Geschwister. Mit diesen lebte er ganz einmütig, niemanden gegenüber überlegen, sondern gesellig, angenehm, ganz menschlich und lieblich, nicht geschwätzig, nicht aufbrausend, nicht ehrsüchtig. Und wenn er manchmal den ganzen Tag mit Arbeit auf den Matten und Feldern verbracht hatte und man dann nach Hause ging, zog er meistens hinterher, sonderte sich ab von der Gemeinschaft der Hausgenossen. Die anderen tat so, als ob sie es nicht sahen, obwohl sie es bemerkten. Er suchte einen heimlichen Ort auf, um zu beten. Dann, nach vollbrachter Danksagung an unseren Schöpfer, ging dann auch er gemächlich nach Hause. Item, ein frommer, wahrhaft ehrbarer Mann, der von Jugend auf Bruder Klausens Kamerad war, ungefähr 21 Jahre lang, der mit ihm gemeinsam viel Heimliches [unternommen] hatte und ihm ein besonders vertrauter und guter Nachbar war, erzählte, wie Bruder Klaus stets ein frommer, wahrhaftiger Jüngling war, niemanden erzürnte, sich immer von ihm und den anderen Knaben weg an einen geheimen Ort zurückzog um zu beten.
  
[*5] Nun findet man in der Textsequenz
Von Klausens Fasten und Abstinenz.
  
Dann nahm er zu an Alter. Der Jüngling begann sich von Tag zu Tag in grosser Tugend zu üben und in der Zucht, so dass er noch im kindlichen Alter jeden Freitag, gleich danach ganze Wochen seinen Leib dämpfte mit Fasten. Auch während der vierzigtägigen Fastenzeit, jahrein jahraus, fastete er täglich und ass am Tag nicht mehr als ein kleines Stücklein Brot mit ein wenig gedörrten Birnen. Auch dies tat er heimlich. Und wenn er von den Seinen oder von anderen im bester Meinung gerügt wurde, dass er es zu streng halte für sein Alter und es ihm schaden könnte, antwortete er mit freundlichen, tugendsamen und warnenden Worten: Es sei so dem göttlichen Willen gefällig.
   
[*6] Zu der Ehe jetzt unser Nikolaus geht,
Gewann auch viele Kinder im ehelichen Stand.
  
Da nun Niklaus von der Flüe von einem wirklich guten Kind zu einem noch besseren Jüngling herangewachsen, aus den Milchjahren zu einem fortgeschrittenen männlichen Alter gekommen war, wurde er in die Ehe gegeben mit einer ehrenvollen Tochter, namens Dorothea, nicht wegen Üppigkeit und schnöder Wollust, sondern der Vorsehung und der Anordnung Gottes willen. Ohne Zweifel redete er seine Gemahlin beim ersten Zugang an wie einst Tobias seine junge Gemahlin Sara, bei welcher der Teufel durch Zulassung Gottes sieben Männer erwürgte, die allesamt sie nach heidnischer Weise, nur der leiblichen Wollust wegen, haben wollten: «Steh auf Sarra, wir wollen Gott anrufen, heute Nacht, die morgige und die übermorgige, dann vermählt uns Gott durch diese drei Nächte, und so erbitten wir mit Psalmgebet zuerst diese Vermählung, denn dann sind wir Kinder der Heiligen und leben nicht wie die Heiden, welche Gott nicht kennen» (Tob 8,5). So betete Tobias: «O Herr, Gott unserer Väter Abraham, Isaak und Jakob, dich loben Himmel, Erde, Meer, Brunnenquellen und alle deine Kreaturen, die darin leben. Du hast den Adam aus Lehm gemacht und hast ihm Eva als eine Hilfe gegeben. Herr, du weisst, dass ich diese meine Gemahlin nicht nehme der Wollust wegen, sondern um Kinder, Nachkommen zu erhalten, in denen dein Name geehrt werde, ewiglich» (Tob 8,7). So hat auch ohne Zweifel unser Nikolaus andächtig in grosser Gottesfurcht das Band der Ehe mit seiner Gemahlin eingegangen. Diese Eheleute haben die eheliche Treue nie gefährdet, auch nicht mit einem unbedachten Wort. Ihnen wurden zehn Kinder geboren, nämlich fünf Söhne und fünf Töchter sind seinem Stamm entsprungen, gemehrt ist so die heilige christliche Kirche. Sie haben auch ihre Kinder in der Furcht Gottes mit aller Güte unterwiesen und sich bemüht, sie so zu erziehen, wie sie selber von ihren Eltern erzogen worden waren.
    
[*7] Nun wird man auch vernehmen,
Wie Nikolaus ein Kriegsmann war.

  
Stattliches Alter, beständige Frömmigkeit, zunehmende Religion, nun rückt Nikolaus von der Flüe in den Krieg, aber nie ohne Geheiss seiner Oberen, denn er der allergrösste Liebhaber des Friedens. Wenn man aber für das Vaterland streiten musste, dann hielt er sich als tapferer, handfester, redlicher Mann, dies für die Rettung und für den Schutz des Vaterlandes und der eidgenössischen Freiheit, samt Witwen und Waisen. Seine Art liess es auch nicht zu, sich gegenüber den Feinden gross zu rühmen. Wenn sie geschlagen, gefangen gesetzt oder entwaffnet wurden, mahnte er sehr dazu, Gnade und Barmherzigkeit walten zu lassen.
   
[*8] Weltliche Ehre hatte er verachtet,
Als verführerisch und vergänglich betrachtet.
  
Vor allem achtete unser Nikolaus alles hoch, was die göttliche Ehre berührt und anbelangt. Er mied und floh dagegen alle irdischen vergänglichen Dinge, also auch Rum und Ehre, so sehr, dass er kaum ohne Bitte der Gemeinde und zur Förderung des Gemeinnutzens als Ratsherr mithalf, die Landesgeschäfte zu erledigen. Als er noch in blühender Jugend von der Gemeinschaft [vom Volk] zum wiederholten Mal zum Landammann gewünscht wurde, versuchte er mit Fleiss, ernsthafter Bitte und mit allen Kräften, dies abzuschütteln [von sich fern zu halten].
   
[*9] Weiter gibt man von ihm Bericht,
Wie er sich hielt zur nächtlicher Zeit.
  
Wo rechte wahre Liebe wohnt, da kann man keine Zeit tatenlos vergehen lassen. Auch Nikolaus hielt sich streng an diese Gewohnheit. Zu nächtlicher Zeit, wenn all sein Hausgesinde ruhte und schlief, unterbrach er seinen Schlaf, stand ganz im geheimen auf. Nach kurzem Schlaf und Ruhe, ging er in die Einsamkeit, wachte den restlichen Teil der Nacht mit andächtiger Betrachtung und fleissigem Gebet.
   
[*10] Stet in der Feind bekämpft hatte,
Wie er stark widerstanden hatte.
  
Der Feind des menschlichen Heils, der da stets umherstürmt wie ein wütender Löwe, um zu suchen, wen er verschlingen kann, und der grosse Neider der rechtschaffenen Religion, dem jedoch der Mann Gottes Nikolaus mit fleissigem Beten, Fasten und Almosen Geben [entgegentrat], fürchtete stets, dass durch Vorbild und Lehre des seligen Mannes Nikolaus viele Seelen dem höllischen Rachen entzogen werden, er rannte darum oft gegen ihn an, mit arglistiger Versuchung, wie er es nur tun konnte. Eines Tages ging Nikolaus mit seinem Sohn Idanum [? Hans, Johann] durch ein Tal, genannt Melchtal, in Bergmatte in seinem Gut, um das Vieh zu versorgen. Als nun der Sohn wie gewöhnlich in einer Scheune oder einem Gaden [Schuppen] das Vieh versorgte [und melkte], wollte der Vater als fleissiger Arbeiter Stauden und Dornen aushauen, die Matten säubern. Zu jener Stunde war ein grausamer, persönlicher Teufel da, erwischte schnell den frommen Mann, der nicht darauf gefasst war, und warf in durch ein dichtes Dornengestrüpp und Stauden hinab, wohl dreissig Schritte weit, wo er dann in grosser Ohnmacht lag. Als der Sohn seine Arbeit erledigt hatte und seinen Vater an dem Ort suchte, wo er ihn vermutete, fand er ihn nun halb tot, mit völlig verletztem Leib und von den Dornen schwer zugerichtet. Er richtete seinen lieben Vater bald auf, zog in heraus und trug ihn, so gut er konnte, in den Gaden, zu einem Feuer hin. Als er wieder allmählich zu sich kam, sagte er mit geduldigen, sanften Worten: Wohlan, wohlan, im Namen Gottes, wie hat mich der Teufel so übel geworfen, darin wird aber der Wille Gottes erfüllt. So wurde er in mancher Weise und oftmals vom Feind angerannt, um ihn abzubringen.
    
[*11] Von Visionen, die ihm wurden kund,
Auch eine Lilie aus seinem Mund.
  
Was vermochte doch dieser geduldige Mensch zu all diesen empfangenen Peinigungen des Teufels sanftmütig gesagt haben? Für gewöhnlich lässt die göttliche Vorsehung bei denen, die sie am meisten liebt, zu, dass sie für und für mit schwerstem Ungestüm heimgesucht werden, damit sie gereinigt und gestärkt später um so mehr ohne Massen getröstet werden, wie dies die folgende Sache anzeigt.
  
[Lilienvision:]
Als Nikolaus einmal in sein oben genanntes Gut zu seinem Vieh gegangen war, setzte er sich in der Wiese auf den Boden nieder und begann dann, aus dem Grunde seines Herzen mit Andacht zu beten und in die Betrachtung himmlischer Dinge einzutreten. Darin sah er bald, eine helle schöne Lilie aus seinem eigenen Mund wachsen, die bis zum Himmel hinauf reichte, mit wunderbaren Wohlgeruch. Zugleich kam das Vieh vorbei samt dem Hausgesinde, sie hatten ihre Nahrung. Und als er nun seinen Blick zum Vieh hin wandte, sah er darunter ein vor allen anderen schönes Ross. Die Lilie krümmte sich und neigte sich zu diesem Pferd, das sie im Vorbeigehen jählings in den Mund nahm. Dadurch wurde ihm zu verstehen und zu erkennen gegeben: Man soll sich Schätze im Himmel aufbauen und sammeln, welche nicht gefunden und genommen werden von denen, die zu viel am Zeitlichen hängen. Wer Aufmerksamkeit und Fleiss für das Irdische aufwendet, dem werden die himmlischen Dinge entzogen, so wie das Ross die Lilie entführt. Und das Zeitliche zerstört, was man im Himmel aufbauen soll, und lenkt davon ab. Dies sagt der Herr im Evangelium: Wie kann man Gott und dem Mammon dienen? etc.
  
[Vision vom Greis, Pilgervision:]
Zu einer späteren Zeit als im Geist den leiblichen Empfindungen entgangen war, ist ihm vorgekommen, als ob er in der weglosen Wüste stehe und weit weg von menschlichen Wohnungen wandelte. Da kam ihm von entfernt ein alter Mann mit ehrwürdigem Angesicht und billiger Bekleidung entgegen. Er sang in einem allersüssesten Ton, zuerst in einer Stimme, dann bald in drei Stimmen miteinander singend geteilt, dann wieder einstimmig ausmündend. Dies tönte in seinen Ohren sehr süss. Daraus verstand er im Geiste (wie er später bekennt) subtil die ungeteilte Gottheit unterschieden in drei Personen, wunderbar und doch einhellig ein Gott. Als der alte Mann aber hinzutrat, erbat er vom frommen Mann Nikolaus ein Almosen [in der Vorlage Ambühls – Quelle 068 – ist die Rede von einem Pfennig]. Als er ihm dieses gabt, nahm der Alte es mit viel Dankbarkeit und Ehrerbietung entgegen und verschwand sogleich. Dadurch wurde er vollkommen unterwiesen, dass Almosen [vereinfachte Übersetzung von Wölflins «eleemosyna», was einfach «Erbarmen» und «Mitleid» bedeutet, auch im Sinne von Liebe] unter allen Werken den obersten Verdienst beinhaltet.
  
[Brunnenvision:] In dieser Vision zog er weiter und kam in ein Dorf mit wenigen Häusern erbaut. Doch darin stand ein auffälliger, schön verzierter Palast mit einem Saal. Er ging hinein und fand eine Treppe, zehn Stufen oder Sprossen hoch. Darunter sah er einen Brunnen hervor fliessen mit Öl, Wein und Honig gemischt. Er hatte auch eine heisere [vermuttlich ein Druckfehler, richtig wäre wohl: heitere] Stimme, die sagte: Die Dürstenden sollen kommen und vom Gemisch dieses Brunnens schöpfen [die originelle Bildsprache in der Fassung von Caspar Ambühl – Quelle 068 – ist durch die Begrifflichkeit und Einfügung von Bibelzitaten etwas zerstört worden]. Er war erstaunt und stand deswegen in Angst. Mit Verwunderung wegen des Ursprungs eines solch ungewöhnlichen Brunnens stieg er die Sprossen hinauf und fand einen Becher oder Geschirr voll mit dem Gemisch des Brunnens. Er konnte jedoch nicht erfahren, aus welchen Höhlen der Erde dieser Fluss wallte. Dadurch wurde der Mann Gottes einmal mehr unterwiesen und verstand klarer die göttliche Dreifaltigkeit, die mit keinem Ende eingeschlossen, sondern sich reichlich der Durstigen erbarmt, und dass man nicht ohne die zehn Gebote zu einer Erkenntnis Gottes kommen kann. Es dünkte ihn auch, dass sehr wenige zum Brunnen gingen. - Nachdem er sich dort etwas vergnügt hatte, ging er in ein weites Feld, da fand er rundherum eine grosse Menge Menschen der Welt, ganz ohne Zahl, bekümmert und gleichsam ohne Massen sorgsam arbeitend mit mancherlei Geschäften, allein auf irdischen Gewinn ausgerichtet. Diese machten einen Zaun und liessen niemand darüber steigen, der ihnen nicht zuvor einen Pfennig gab. Andere bauten eine Brücke über ein Wasser, vor der man den Zoll geben musste. Etliche pfiffen, sangen, triben den Knebel [jonglierten] oder übten mancherlei Dinge, spielend und sprechend, nur um den Pfennig. Dabei merkte er wohl, dass es die Eitelkeit der Menschen war, womit man schier in der ganzen Welt Eigennutz und Nahrung sucht, und dass diese vergänglichen Dinge die Menschen wegzieht vom Zugang zu diesem oben erwähnten Brunnen.
     
[*12] Nun hört man weiter einen schönen Bericht.
Von einem seltsamen Gesicht [Vision].

  
[Vision der drei Männer:] Bei all dem ist überhaupt nicht zu übergehen, dass eines Tages zu dem frommen Mann, als er mit häuslichen Dingen beschäftigt war, drei Männer kamen, mit ziemlich vornehmer Gestalt, Kleidung und Sitte. Sie erschienen wie Edelleute. Der erste von ihnen begann zu reden, in der Art: Nikolaus, willst du dich nicht ergeben in unsere Gewalt mit Leib und Seele? Dem antwortete er sogleich: Ich ergebe mich niemand anders als dem allmächtige Gott, dessen Diener zu sein ich schon lange begehre, mit Leib und Seele. Die drei wandten sich in fröhlichem Gelächter einander zu. Dann sprach wiederum der erste zu ihm: Weil du dich ganz Gott zu eigen gibst und für immer ergibst, so verheisse ich dir mit Gewissheit, dass sich der allergütigste Gott deiner, wenn du das siebzigste Altersjahr erreicht und vollendet hast, deiner Mühe erbarmt und dich erlöst von allen Beschwerden und Widerwärtigkeiten. Darum ermahne ich dich zur beständigen Beharrlichkeit. Und es wird dir die ein Banner mit einer Bärentatze darin gegeben werden, als Zeichen des Sieges im ewigen Leben. Und zum Zeichen des Andenkens gebe ich dir das Kreuz zum Tragen. Als dies vollbracht war, gingen sie weg. In diesen Worten verstand er, dass er nach mancherlei Betrübnis der Versuchung tapfer obsiegen wird, dass er zur himmlischen Herrlichkeit gelangen werde und dort der vielzähligen Ritterschaft beigesellt wird.
    
[*13] Eine schöne Unterweisung vernimm
Von einer himmlischen Stimm’.

  
Es ist auch ohne Zweifel glaubhaft: Einmal ging unser frommer Nikolaus in seine Güter um zu mähen. Dabei rief er mit grösster Innigkeit die göttliche Gnade an, um sich der Welt völlig zu entladen und Gott allein anzuhangen und sich ihm zu ergeben. Da liess sich eine Wolke herab zu ihm, woraus zu ihm gesprochen wurde: Er würde töricht handeln, denn er vertraue ja derweil auf seine eigenen leiblichen Kräfte und verlasse sich darauf. So ergebe er sich dem Willen Gottes unwillig, da doch Gott die freiwillige Dienstbarkeit am angenehmsten sei. Weil er nun durch diese Stimme gewarnt war, fing er darauf an, die Dinge des Hauses, denen er bisher anhängte zu verachten und die himmlischen Dinge wachsamer zu begreifen und zu umfangen.
    
[*14] Ein andere göttliche Warnung es gab,
Die ihn von der Welt zog ab.

  
Oben wurde erwähnt, wie er durch Bitten und aus Liebe zum Gemeinwohl sich dazu hergab, im Rat und im Gericht seiner Pfarrgemeinde Einsitz zu nehmen. Als schliesslich zeitweise Räte und Richter wegen Begünstigungen, Verpflichtungen etc. verletzende Worte gegen das Gemeinwohl oder gegen die Rechte Einzelner äusserten, sah der fromme Ehrenmann bei ihnen Feuerflammen zum Mund herauskommen, von derart erschreckender Gestalt, dass er von da an jegliche weltliche Ehre und Gewalt mied, weil diese so hitzig und schändlich ausgeübt werden. Diese eben genannte Vision und Warnung setzte sich derart in seinem Herzen und seinem Gemüte fest, plagte ihn Tag und Nacht, so dass er der Welt mit all ihrem Treiben entsagen und von allem völlig Abstand nehmen wollte, um nur noch der ewigen göttlichen Weisheitsliebe anzuhangen.
   
[*15] Dieses Vorhaben tat Nikolaus jetzt
Seiner lieben Ehefrau kund.

  
So nahm nach und nach die rechte, wahre Geistlichkeit und Andacht bei unserem frommen Landmann zu. Durch die göttliche Gnade, die in ihm so viel wirkte, wurde er dahin getrieben und jetzt berufen, ein Gottesfreund zu sein. Und es schien ihm, als ob nun seine ganze Umgebung ihm keine Freude mehr bereitete, um zu bleiben. Er hatte keine Ruhe mehr, denn sein Herz war völlig von der Gottesliebe entzündet. Darum tat er seiner Ehefrau [Dorothea] sein Vorhaben kund, seiner allertreuesten Ratgeberin, wie er diese schnöde, brennende Welt verlassen wolle, um in der Einöde, an einer geeigneten Stätte, Gott allein zu dienen. Hierfür solle sie ihm ihre Gunst und ihre Erlaubnis gewähren. Sie solle ihm um der Liebe Gottes willen dazu helfen und raten, denn er würde fortan nutzlos häuslichen Sorgen anhangen und es zeige sich, dass seine Fähigkeiten in weltlichen Dingen vorbei seien.
     Als er dies zum drittenmal von ihr erbat, was der tugendsamen frommen Ehefrau viel Kummer und Angst bereitete, den frommen Gemahl herzugeben, ihren lieben Kindern den so tröstlichen, frommen, wohlgeliebten Vater zu nehmen etc., kam sie unwillig, mit schwerem betrübten Herzen schliesslich seinen ernsthaften, vielfältigen Bitten entgegen, als eine gehorsame Gemahlin ihres begehrenden liebsten Hausmannes.
    
[*16] Sein Vorhaben war es allein zu sein,
Er verliess Weib und Kind samt Haus und Heim.

  
Der auserwählte Gottesfreund, Nikolaus von der Flüe war ein wahrer Theologe, erfahren in allen Klauseln, Punkten, Inhaltes und Substanz der heiligen Evangelien und der göttlichen Schrift, obwohl er sie nicht schriftlich vor sich hatte und auch nicht einen einzigen Buchstaben hätte lesen können. Trotzdem war es ihm nicht unbekannt, was der Herr Christus gesprochen hatte: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selber, trage sein Kreuz und folge mir nach, denn wer seine Seele behalten will, wird sie verlieren, hingegen, wer seine Seele verliert um meinetwillen, der findet sie, denn was nützt es den Menschen, wenn sie die ganze Welt gewinnen und dabei die Seele verlieren, und ein jeder, der da um meinetwillen seine Güter, Brüder, Schwestern, Vater, Mutter, seine Frau und Kinder und all das Seine verlässt, der empfängt es hundertfältig wieder, hier viel in der Zeit und dort in der Ewigkeit. Dem Herrn so nachzufolgen, alle Ding für gering zu achten um des ewigen Lebens, Gottes und seines heiligen Namens willen, hierzu gab ihm seine liebe Ehefrau die Einwilligung, wodurch er fröhlicher wurde. Er begann, bei sich selber sorgfältig zu beraten, um den geeignetsten Ort für sein Vorhaben zu finden. Da kam ihm in den Sinn, dass, wenn er dies in seinem Vaterland unternähme, sehr bald die böswilligen Vorwürfe sich häufen würden, sein Leben sei unredlich. So verliess er eines Tages seine Ehefrau, seine Kinder, samt all seines Hab und Guts, ging aus seinem Vaterland und aus der Eidgenossenschaft hinaus, um eine Wohnstätte zu suchen unter den Fremden. Er hatte einen weiten Weg. Als er über den Hauenstein (der damals die Eidgenossenschaft von Burgund trennte) in die Nähe von Basel kam, dünkte ihn bei Liestal, einer Stadt, die jetzt zu Basel gehört, als sei die ganze Stadt feuerrot. Da erschrak er und ging sofort wieder weg, kam auf einen Bauernhof, wo er mit dem Bauern viel redete und ihm auch sein Vorhaben eröffnete, welches dieser zwar als gute und rechte Sache, doch als nicht weise ausgeführt ansah, vor allem deswegen, weil er als Eidgenosse in ein Land ginge, wo ihm nicht jedermann günstig und freundlich gesinnt sei. So wäre es besser und ruhevoller, unter väterlichem Schutz zu wohnen und zu kontemplieren, als Zuflucht zu nehmen unter den Fremden.
     
[*17] Der fromme Man wurde nachts ermahnt,
Wieder heim zu gehen in sein Vaterland.

  
Vom Rat und der Ermahnung des Bauern wurde Nikolaus so fromm bewegt, ging in sich, dankte dem Bauern wegen seiner guten Tat und seiner freundlichen Meinung, kehrte noch am Abend von dannen. Nicht weit, dann übernachtete er auf einem Feld unter heiterem Himmel. Bei den Leuten unten im Orte wollte er keine Herberge. Nachdem er sich niederliess, sein Gebet und seine Betrachtungen verrichtete und unruhig in seinem Gemüte mit Gedanken geplagt wurde, die er sich doch ausschlagen wollte, schlief er ein. Als er aber so ermüdet und noch nicht lange schlafen lag, umgab ihn schnell ein heller Schein vom Himmel herab. Dieser verletzte ihn nicht wenig, so, als ob man seinen Leib mit einem Messer aufgeschnitten hätte, und es dünkte ihn, er werde an einem Seil stark gezogen, heimwärts. Dabei meinte er, dass er doch wieder in sein Vaterland zurückkehren solle. Er stand früh auf, verliess sein Nachtlager und ging auf dem Weg, auf dem er gekommen war, wieder zurück. Aber er verachtete all die Dinge, denen er bei seinem Abschied entsagt hatte, nämlich all sein Hab und Gut, seine liebe Ehefrau und die Kinder, gleichsam, als ob er auf dem Erdreich nichts mehr sein eigen nennen könnte, ging er unaufhaltsam bis ins Melchtal auf seine Alp [Klisterli, Chlisterli]. Hier schlief er, verbarg sich in einem starken und dichten Dornengestrüpp, wo er blieb, ohne jeglichen Speis und Trank und wovon niemand etwas wusste.
    
[*18] Bruder Klaus wurde gefunden in den Dorn’
Und ihm eine Wohnung auserkor’n.
 
  
Was für ein Kurzweil, Ruhe und Freude unser frommer und in Gott haftender Landsmann, jetzt Bruder Klaus, in dieser seiner Herberge hatte, obwohl er schwere, unablässige Anfechtungen, Versuchungen, Trotz und Krieg erleiden musste von dem neidischen, giftigen, aufsässigen Teufel, dem Erbfeind aller Seligkeit, als er nun etliche Tage in seiner Abstinenz zubrachte, von aller natürlichen Speise, samt seinen innigen Betrachtungen. Da wurde aus dem Teufel ein seltsamer Vogel, der ihm pausenlos nachsetzte [in der Luzerner Chronik von Diepold Schilling – Quelle 208, die der Luzerner Hans Salat sicher kannte, so bildlich dargestellt], Tag und Nacht, durch Vorhalten zeitlicher Ehren, guter und natürlicher Speisen. So wurde auch Christus unser Herr selber, als er die vierzig Tage fastete, vom Teufel in drei Stücken versucht. Ein jeder gutherziger Mensch mag es wohl selbst ermessen und betrachten. Dann, als Bruder Klaus, wie oben gehört, im Dornengebüsch verharrte und verblieb bis zum achten Tag, in der Meinung auch weiterhin dort zu wohnen, wurde er an dem Orte von Jägern, welche nach Wild suchten, gefunden und seinem leiblichen Bruder Peter von Flüe gemeldet, der ihn, weil er ihn von Herzen liebte, so gut, wie er konnte, in vielen Dingen entschieden ermahnte, besonders dass er sich nicht selber durch Hunger töte. Bruder Klaus antwortete ihm: Es werde in Zukunft nicht geschehen, weil es auch bisher nicht geschehen sei. Als aber dieser Ort immer mehr Zulauf von den Werkleuten hatte, von denen er oftmals etwas Beschwerliches erleiden musste, weil man ihn dort zu finden wusste, begann er im Tal eine wildere, abwegigere Stätte und Einöde zu suchen. Nachdem er lange viele Täler, Gräben und Höhlen durchwandert hatte, sah er einmal einen Schein leuchten, gleich wie vier brennende Kerzen, die sich vom Himmel herabliessen über die Gegend eines Tales, die man nennt im Ranft, unfern von Sarnen und Sachseln, am Gebirge zum Sonnenaufgang hin. Dadurch wurde er unterwiesen zu erkenne: Das sei die Stätte seiner Wohnung, passend und geeignet für das göttliche Lob.
   
[*19] Als Bruder Klaus eine Stätte fand,
Wurde ihm ein Häuschen gebaut.

  
Auf dieses Zeichen hin kam er in den Ranft und begann mit Hilfe der Nachbarn ein hölzernes Häuschen zu bauen. In diesem hatte er etwa ein Jahr lang gewohnt, als seine Freunde, Nachbarn und Landsleute von Unterwalden seine Frömmigkeit nicht als Angeberei und nicht als Wirken eines Geistes von Nutzlosigkeit und Fantasterei sahen, begannen sie auf gemeine Kosten und in Fronarbeit eine Kapelle zu bauen, zum Lobe der Gebärerin unseres Herrn Jesus Christus, der Jungfrau Maria, dazu noch an der Seite der Kapelle ein neues Häuschen und Wohnung für ihren lieben Landsmann, von der aus er in die Kapelle sehen und wandeln konnte, wie man beides heute noch sehen kann, wenn man in den Ranft kommt. Nachdem nun der neue Bau vollendet war, haben sie es frei ihrem lieben Freund Nikolaus geschenkt und übergeben.
   
[*20] Wie er kam zu seiner Abstinenz,
Auch harte Zeit und Penitenz.

  
Unser würdiger lieber Vater, Bruder und Freund ging nun in diese Wohnung, ergab und eignete sich ganz und gar Gott, um ihm zu dienen. Wahrlich unglaublich, wieviel er sich mühte, wie er fastete, wachte und wie er Tag und Nacht betete, und alle Zeit seines Lebens seinen Leib kasteite. Sein Stübchen und Gemach war nur drei Schritt lang und eineinhalb Schritte breit, die Decke berührte seinen Scheitel. Es gab zwei Fensterchen, jedes eine Zwergenhand breit. Kein Bett, sondern ein Schemel und Stein als Kissen für sein Haupt, sowie eine arme Decke aus grauem Stoff. Item, seine Bekleidung bestand allein aus einem langen abgetragenen Rock [Habit, Kutte - nicht grau im heutigen Sinn, vgl. auch bei Albrecht von Bonstetten, Quelle 015 und Heinrich Gundelfingen, Quelle 052], oben ein Loch für das Haupt, daran ein Kragen, in der Form wie bei unserem Seligmacher [Jesus], er ging ihm bis zu den Knöcheln der Füsse. Er gürte sich mit einer Schnur oder war auch wieder ungegürtet. Er trug keine Schuhe an seinen Füssen und war stets barhäuptig. In seinen Händen hatte er ein Paternoster [das Bätti = Gebetsschnur], mit dem er betete. Auch von seiner Abstinenz [Nahrungslosigkeit] ist zu erfahren und zu hören, dass er nach der Rückkehr von Liestal nach Unterwalden heimlich einen Priester zu sich, der ihm sehr sympathisch war, er hiess Oswald Issner [Yssner - siehe Sachsler Kirchenbuch, Quelle 053], damals Pfarrer in Kerns. Ihm vertraute er und eröffnete ihm das Geheimnis, dass er nun schon bis zum elften Tag ohne Beschwerden von Hunger und Durst, völlig ohne leibliche Nahrung in der Gnade Gottes verharrte. Er möchte ihn doch in dieser Sache getreu beraten, was er denn weiterhin tun solle. Der Herr [Pfarrer] wunderte sich sehr über diese Neuigkeit und begann seine Hände und Füsse abzutasten und sein Gesicht zu betrachten [untersuchen]. Er befand und sah: einen bleichen Mund, dünne Backen, dürre, zerschundene Lippen und seinen Leib völlig abgemagert, den die blosse Haut bedeckte. Er erkannte, dies geschehe nicht aus einem unnützen leeren Glauben oder Hexerei, sondern aus göttlicher Kraft und Bestärkung. Er riet dem frommen Mann, sich in diesem Abbruch mit der Hilfe Gottes langer zu bewähren. Dies tat er dann auch mit starlem Mut und vollbrachte es beharrlich bis zum letzten Tag, nämlich nahezu zwanzig Jahre lang.
     
[*21] Als diese Abstinenz bekannt wurde,
Wurde er überall bekannt.

  
Da sich nun die Rede und der Ruf über diese ungewöhnliche, unerhörte Abstinenz und den Abbruch [der Nahrungsaufnahme] sehr verbreitete bei allen Landsleuten, begannen diese Leute daraufhin, untereinander mancherlei Reden [zu verbreiten]. Denn gerade Tugend, Frömmigkeit, Ehre und Glück sind nie ohne Neider, Verleumder und solche, die alles immer nur auf das Böse hin auslegen und verdrehen. Auch der gute fromme Mann hatte solche. Auf der anderen Seite meinten die Gutherzigen (wie es auch war): Dies geschehe nach der wunderbaren Ordnung Gottes. Die Verdreher aller guten Dinge aber schenkten dem keinen Glauben, sie meinten, es würde ihm vielleicht heimlich Nahrung und Speise gebracht. Es fehlte hier nicht an Märchenerzählern, Ehrabschneidern und Beschimpfern. Hierauf wurde verordnet, Wachen aufzustellen [Wölflin §25 – Quelle 072] im ganzen Tal rund um den Ranft, um mit Fleiss sicherzustellen, dass kein Mensch zum erwähnten Gottes Diener Nikolaus weder hin noch weggehen konnte. Nachdem diese Bewachung durch die Zeit eines ganzen Monats erfolgt war, wurde kein Weg gefunden oder entdeckt, hinsichtlich Vermessenheit und unnützem Betrug, es wurde für gegenstandslos gehalten, und es wurde jeder Argwohn abgewendet.
     
[*22] Der Bischof seine Kapelle weihte,
Seinen grossen Abbruch auch bewahrheitet’.
 
  
Damit nicht vielleicht doch das löbliche Land Unterwalden bei jemandem durch die Nachrede von Neidern meint, es sei ein falscher Ruhm und nicht eine Gottes Gabe, wurde der Bischof Thomas von Konstanz angerufen, von jenem Bischof und Bistum, in dem Unterwalden liegt, einen Weihbischof Hermann [die Namen von Weihbischof und Diözesanbischof werden hier verwechselt], um die Kapelle von Bruder Klaus gemäss löblichem Brauch zu weihen [Wölflin §26 – Quelle 072], was auch geschah, zur Ehren der Gottesgebärerin und Jungfrau Maria. Der erwähnte Bischof ging auch in die Wohnung von Bruder Klaus. Sie sprachen den grössten Teil des Tages viel miteinander über göttliche Dinge. Unter anderem brachte der Bischof die Frage vor, welches die höchste und Gott am angenehmste Tugend sei. Nachdem ihm Bruder Klaus antwortete, dass dies der Gehorsam sei, nahm der Weihbischof alsbald Wein und Brot, das er herbeibringen liess. Er machte daraus drei Bissen und befahl ihm im Verdienste des Gehorsams diese zu essen. Bruder Klaus wollte dem Befehl nicht widerstehen, obwohl es für ihn übel und beschwerlich war wegen der langen Entwöhnung. Er bat jedoch den Bischof, er möchte ihm doch aus dem einen Mundvoll [Bissen] drei Teile machen, die wolle er dann nehmen. Es geschah so. Aber nach dem Essen und einem kleinen Schluck Wein hatte unser Bruder grosse Beschwerden und wurde schwach wegen den herzerfüllten Schmerzen, da er es sehr nur schlecht schlucken und verdauen konnte. Davon erschrak der Bischof und gab zu, den guten Mann zu stark geprüft zu haben. Er erklärte auch, dass er dies nicht aus eigenem Frevel und Vorsatz tat, sondern auf Befehl seines Herrn, Bischof Hermann [hier ist der Name wieder richtig], der ihm auftrug, dies zu überprüfen und in Erfahrung zu bringen. Und damit der Sache mehr Glaube zutrug, begab sich nicht lange danach, nachdem Bischof Hermann starb und Otto zum Bischof von Konstanz gewählt wurde, dass auch dieser durch solchen Ruf bewegt die Wahrheit der Dinge wissen und erfahren wollte [Wölflin §27 – Quelle 072]. Er begab sich darum selbst in die Einöde zu dem heiligen Mann und hatte mit ihm ein langes und mannigfaltiges Gespräch. Der genannte Bischof Otto erkannt dadurch das Leben des frommen Bruders, lobte seine Sitten aufs höchste und freute sich selbst sehr, dass der allermildeste Gott einen solchen frommen Einsiedler in seinem Bistum hervorbrachte, unter den Schäflein seiner Herde, wodurch inskünftig alle Dinge besser glücken werden. Dies bekannte und würdigte er öffentlich.
    

[*23] Ein Zeichen und bewährter Grund,
Wie und wo die Abstinenz wurde kund.

  
So ist auch dies das allergrösste und bewährteste Fundament seiner unzweifelhaften Abstinenz und seines allerfrommsten und ganz vollkommenen Lebens. Das erfahren wir von einem sehr andächtigen Mann, seinem Mitbruder [Bruder Ulrich - Salat nennt den Namen genauso wenig wie Wölflin §28 – Quelle 072 ], der es nach seinem Tod und Weggang berichtete.
  
Als der selige Bruder Klaus das Wissen um seine Todesstunde erhielt- er war damals noch in seinen weltlichen Aufgaben, wie oben gehört, und jetzt in die Wildnis gegangen -, wurde er oft von diesem besagten andächtigen Mitbruder aufgesucht, dem er unter vielen anderen Dingen über die Zeit seines Todes erzählte, worüber er unterrichtet wurde, was ihm offenbart wurde. Dieser ermass alle diese Dinge stillschweigend und verbarg sie während vieler Jahre.
  
Als nun das letzte Jahr für Bruder Klaus kam, war dieser Mann begierlich, die Wahrheit über das Werk Gottes zu erfahren. Er ging abermals zur Wohnung von Bruder Klaus und rang ihm durch kummervolle Bitten ab, dass er es ihm gönnte, im nächsten Häuschen, wo er [Bruder Klaus] zuerst war, bei ihm zu wohnen. Er wolle auch von Stund an alle seine Anweisungen und Mahnungen befolgen. Nachdem sie darüber zu einer Übereinkunft gekommen waren, geschah auf Geheiss von Bruder Klaus folgendes: Dreizehn Tage aneinander verbrachte er [Bruder Ulrich] ohne jegliche Speise und Trank mit beschaulichen Dingen und hatte keine Beschwerden, weder Hunger noch Durst. Als die Zeit fortgeschritten war, nahm Bruder Klaus ein Brot, das er ihm bringen liess, brach es und gab ihm den halben Teil. Er befahl ihm diesen in der Melchaa [so heisst das Wasser, das dort fliesst und wovon der Name Melchtal kommt] zu netzen und essen. Dem Befehl von Bruder Klaus gehorchte Bruder Ulrich sofort. Er nahm das Brot und netzte es, obwohl widerwillig und stillte damit den widerstreitenden Hunger. Am dritten Tag danach wurde mit dem anderen Teil gleich verfahren. Darauf überkam den Mann ein solcher Hunger, dass er meinte, er könnte nie mehr genug zu essen bekommen. Dies sah Bruder Klaus voraus und sorgte inzwischen durch seine Ehefrau [Dorothea] dafür, dass ihm genug Speise gebracht wurde. Nachdem er wieder gesättigt war, fragte er Bruder Klaus, warum er ihn nicht länger in dieser Abstinenz bleiben liess. Er antwortete ihm, dies wäre genug gewesen um zu erfahren, wie die Dinge durch den göttlichen Wille verordnet werden. Damit meinte er, weil ihn der Hunger nachher so heimsuchte und die Speise mehr als der Abbruch schmeckte, sei es ein Zeichen und genug der Probe, nicht weiter ohne Speise zu leben. Dieser andächtige Mann blieb an jenem Ort, gespeist und ernährt vom einfachen Volk, bis er seines allerliebsten Nachbarn beraubt wurde, zur vorgenannten Zeit, wie es ihm angezeigt wurde und hier notiert ist.
     
[*24] Woher hatte Bruder Klaus der selige Mann
Seine grosse Hilfe für den Abbruch gehabt?

  
Es wunderten sich alle, zu denen der allgemeine Ruf kam, nicht wenig über die grosse Abstinenz und was denn den seligen Man entgegen der allgemeinen Natur ohne den Gebrauch Speise und Trank [am Leben] erhielt. Darüber wurde er auch oftmals von seinem oben genannten vertrauten Priester [Oswald Issner, Pfarrer von Kerns] befragt. Ihm offenbarte er auf seine vielfältigen und langen Bitten hin ungern, dass er immer, wenn er bei dem heiligen Amt sei (denn jede Woche wurde in seiner Kapelle eine Messe gehalten) und hier sehe, wie der Priester den wahren Leib und das Blut Christi geniessen, [selber] aus diesem Genuss eine wunderbarliche Stärkung empfange.
  
Auch wenn er von etlichen seiner besonders Vertrauten gefragt wurde, antwortete er ihnen so wie oben. Wenn er zudem das bittere Leiden unseres lieben Herrn Jesus Christus betrachtete und es dann darin zur Scheidung der Seele vom Leib Christi unseres Herren kam und dies ihm begegnete, dann empfinde sein Herz eine grundtiefe unaussprechliche Süssigkeit, von der er danach erhalte werde, und wodurch er sanft die Nahrung des gewöhnlichen Lebens entbehren könne. In diesem [Punkt], wie auch in allen anderen Dingen, liess er es in höchster und abschlägiger Weise missen, er hütete sich vor Ruhmsucht und Aufsehen.
   
[*25] Bruder Klaus hatte dem Priester bekennt,
Auch empfangen das hochwürdige Sakrament.

  
In allen Anliegen hatte unser seliger Mann keine höhere, grössere Hilfe [alte Bedeutung von «trost»] und Belohnung [ergetzung] gehabt, als im Empfang des hochwürdigen Sakramentes des wahren Leibes und Blutes unseres Seligmachers Jesus Christus, das er zuerst meistens mit vorangegangener mündlicher Bekenntnis und Beichte bei seinem erwählten Priester an allen Hochfesten empfing. Als er jedoch nach zehn Jahren aus den Almosen der Pilger für die Kapelle einen eigenen Kaplan erhielt, der dann durch die Fürsorge der frommen Landsleute dort unterhalten wurde, hatte der fromme selige Mann alle Monate einmal gebeichtet und dann das hochwürdige löbliche Sakrament vom erwähnten Kaplan empfangen. Er bekannte, dass er davon einen etwas sehr Grosses erhalten hatte.
   
[*26] Hier wird auch weiters gesagt,
Von seiner täglichen Gewohnheit.
 
  
Diese Gewohnheit hielt er für sich täglich ein: Den ersten Teil des Tages, nämlich von der Messzeit bis zum Mittag, verbrachte er in der Einsamkeit mit Gebet und Kontemplation. Wenn der Himmel heiter war, ging er hinaus etwas spazieren. Und wenn es ihn passend dünkte, stieg er gegenüber zum anderen Bergli hinauf und besuchte den oben erwähnten Bruder Ulrich, einen andächtigen Mann, nicht wenig bekannt, der in der ganzen Welt an dem Ort wegen der Heiligkeit von Bruder Klaus eine Wohnstatt ausgesucht hatte und sein Vaterland und seine Geschäfte verlassen hatte. Dort gab es zwischen den beiden viele Reden über die göttliche Unterweisung. Danach ging er allein wieder zurück zu seinem Hüttlein in seine Wohnung.
   
[*27] Für und für hatte unser seliger Mann.
Viele Versuchungen und Anfechtungen gehabt.

  
Oben war zu hören von Anfechtungen durch den neidischen Feind gegen unseren frommen lieben Bruder Klaus, der trotz seines strengen Lebens für und für nicht der Arglistigkeit des Teufels enthoben war, was Gott der Herr immer verhängt zu aller stärksten Probe der Seinen. Denn, dass der erwähnte Erbfeind den Gottesfreund mit vielen Dingen, Ungerechtigkeiten und Schmähungen traktierte und mit sehr heftigen Stössen gegen sein Häuschen anstürmte, so dass das ganze Gebäude zu Boden stürzen drohte, manchmal auch zu ihm hineinkam in grässlicher Gestalt, in an den Haaren nahm und ihn trotz Gegenwehr hinauszog. Als der Feind sah, dass er ihn so keineswegs vom Weg abbringen konnte, war er zu anderem Ungestüm gezwungen. Einmal erschien er Bruder Klaus in der Gestalt eines mächtigen Edelmannes mit wertvoller Kleidung und Schmuck, heranreitend auf einem hohen Ross. Er begann mit mannigfaltigen Ratschlägen ihn anzusprechen, dass es sich für ihn gar nicht zieme, getrennt von der menschlichen Gesellschaft in dieser Einöde und diesem Fasten das von ihm begonnene Leben weiterzuführen. So könne er nicht zu den Freuden des Paradieses gelangen, an der er doch mit ganzer Begierde anhängt. Den es gebühre sich am meisten, sich in den Sitten den übrigen Menschen anzugleichen. Als aber der fromme Mann den Betrug des unreinen Feindes erkannte, war er schnell von allem Schaden befreit durch die Hilfe des allmächtigen Gottes und die Fürbitte der reinen Mutter Maria, die er in Treue anrief, auch in anderen Zeiten.
     
[*28] Er tröstete auch sein Hausgesind’,
Seine Ehefrau und seine Kind’.
 
  
Treu ergeben und ohne Unterlass dankte Bruder Claus Gott dem allmächtigen wegen seiner Familie und wegen seiner Ehefrau, die ihm die Bewilligung gab, die Sorgen über das Haus und die weltlichen Dinge aufzugeben. Dann dankte er auch dafür, dass ihn nie eine Anfechtung wieder zu Haus und Heim zurückbewegte, obwohl dieses nicht weit entfernt war. Er hatte aber auch einige Male bekannt, dass er Gott viel mehr danke und lobe dafür, dass er sich von seiner lieben Frau trennen und beurlauben konnte, als dafür, dass er sich von der leiblichen Speise enthalten konnte. Er liess auch hin und wieder seine Ehefrau samt den Kindern zu sich kommen, um ihnen heilsame Lehren zu geben, solcher Art, dass sie es gut aufnehmen und stets von seinen Unterweisungen lernen konnten, ihr Leben der göttlichen Dienstbarkeit mit allem Fleiss und mit grosser Andacht zu widmen usw.
    
[*29] Gegenüber den Pilgern von den Strassen,
Hielt sich Bruder Klaus folgendermassen.

  
Die Sprache und Erscheinung des frommen seligen Mannes, wie am Anfang berichtet wurde, waren immer sanft und gütig, ein Anzeichen für ein standhaftes Gemüt in allen Dingen, so auch gegenüber den Pilgern, die ihn besuchten. Weil nun der lobwürdige Mann in der Religion so weit vorgerückt war, dass er auch die Gedanken der Menschen, künftige und wirkliche Dinge wissen konnte. Darum war er nicht für alle Pilger offen zugänglich, denn er sagte selbst, dass einige ihn nicht wegen der Erbauung besuchten, sondern mehr wegen der Zerstörung des Lebens, in der Art der Pharisäer. Deswegen floh er diejenigen, die er als solche inwendig erkannte. Aber den Gutwilligen gönnte er es mit ihm zu reden, er grüsste sie freundlich, lehrte sie gütlich und gab ihnen gebührlich die Ehre. Doch alle, die zu ihm kamen, verstummten gleich beim ersten Anblick, wegen eines wunderbarlichen Glanzes, der von seinem Antlitz ausging. Dies bewegte die Herzen der Betrachter [Hans Salat lässt die Schreckensvision weg, von der Wölflin schreibt].
  
Und obwohl er des Schreibens unkundig war, war er dennoch geübt in eingegebener Weisheit von oben und in wahrer Philosophie. Die allererfahrensten gelehrtesten Männer entledigte er und sprach auch offen über deren Unverstand in vertrauten Dingen, mit denen sie viel Zeit verbrachten. Wenn er dann aber von Einfachen angefragt wurde, ihnen zu raten im göttlichen Gesetz und den Geboten, antwortete er ihnen gütlich, jeder soll von seinem geistlichen Hirten die Lehre des Evangeliums mit reinem Gemüt hören, behalten und nach seinem Vermögen erfüllen. Item, gemeinen Handwerkern und Gewerbsleuten, die sich selten um das ewige Leben kümmern, antwortete er, dass jeder sein Handwerk, Gewerbe und, was sie sonst auch immer trieben, auf rechte Weise tut. Niemand soll danach streben zu täuschen und zu betrügen. Sie sollen auch in Gottesfurcht im Stand der Ehe haushalten. So wird man ebenso selig, wie einer, der im Wald lebt. Denn nicht jeder kann sich in die Wüste zurückziehen. Ebenso freundlich gab er manchem Trost, der ihn darum bat.
   
[*30]Wenn die Eidgenossenschaft war beschwert,
Haben sie Bruder Klausens Rat begehrt.

  
Wenn die Eidgenossenschaft in schwerwiegende, ernsthafte Umtriebe verstrickt war, suchte man Rat beim lieben Landsmann, Eid- und Bundesgenossen Bruder Klaus, und dies zum wiederholten Mal. Seine Meinung und sein Rat waren immer: Frieden, Ruhe im Vaterland, Einigkeit mit den Nachbarn, auch das Lobe Gottes [Gebet] und vor allem Gehorsam gegenüber den Obrigkeiten [letzteres fehlt bei Wölflin]. Item, er gab auch viele besondere Warnungen und ernsthafte Ratschläge, nämlich in Bezug auf das Annehmen weiterer Orte und die Erweiterung der Eidgenossenschaft warnte und mahnte wiederholt: «O liebe Freunde, macht den Zaun nicht zu weit, damit ihr um so besser in Frieden, Ruhe, Einigkeit und in eurer sauer erworbenen, löblichen Freiheit bleiben könnt [dem Sinn nach bereits bei TrithemiusQuelle 204]! Beladet euch nicht mit fremden Angelegenheiten! [also wörtlich nicht: Mischt euch nicht in fremde Händel!] Bindet euch nicht an fremde Herrschaften! Hütet euch vor Spaltung und Eigennutz! Hütet euer Vaterland, bleibt dabei und meidet den Krieg! Wenn jedoch jemand euch überfallen will, dann kämpft tapfer für eure Freiheit und für das Vaterland!
   
[*31] Zeichen und prophetisches Sagen,
Auch besondere Visionen in seinen Tagen.

  
Die, welche den Herrn lieben, werden von ihm wieder geliebt, und er unterrichtet seine wahren Liebhaber über seinen Willen und seine Geheimnisse. So hatte Bruder Klaus besondere Visionen gehabt, die er verstanden hatte und auch besonderen Personen mitteilte, etwa bezüglich des Unglücks, das über die eine Eidgenossenschaft hereinbrechen werde, verursacht dadurch, dass sie sich in fremde Konflikte und Streitereien einmischen und mit Bürden [Sorgen] belasten würden, deren sie sich sehr wohl hätten entziehen können. Ebenso hatte er sehr freundschaftlich gewarnt, wenn mächtige Regierungsleute zu ihm kamen: «Hütet euch, liebe Freunde, vor diesem und jenem, lasst Eigennutz, Missgunst, Neid, Hass und Zwietracht nicht untereinander aufkommen, sonst ist eure Sache aus. Und erzeigte mit klaren Worten und Darlegungen deutlich an, wie eine Spaltung und eine grosse Zwietracht entstehen werde im waren, rechten Christenglauben, nämlich in welcher Gestalt, wie und wo etc. Und darauf hatte er immer freundlich, getreu, väterlich und ernsthaft gemahnt: «O liebe Kinder, lasst euch mit solcher Falschheit nicht betrügen, haltet euch zusammen, bleibt auf dem Weg und in den Fussstapfen unserer frommen eltern! Behaltet, was sie euch gelehrt haben, dann kann euch kein Sturmwind und Ungewitter schaden, die doch sehr heftig wüten werden.
    
[*32] Durch Fürbitte in Bruder Klausens Leben
Hat Gott ein Wunderzeichen gegeben.

  
Meister Heinrich Wölflin [§37 – Quelle 072], ein geborener Berner, hatte früher die Geschichte unseres frommen lieben Bruder Klaus auf Lateinisch sehr schön beschrieben und darin ganz gründlich ein Wunderzeichen geschildert, das sich im Ranft ereignete, so als ob er von dem, an dem es geschah, oder seinen Angehörigen einen Bericht oder eine Grundlage erhalten hatte. In der Herrschaft Bern war nämlich ein Mann sehr krank an einem Fuss, dermassen, dass er wegen den heftigen Schmerzen keine Ruhe fand. Er versprach, in den Ranft, zu Bruder Klaus und der Jungfrau Maria einen Fuss aus Wachs zu bringen, um die Gesundheit zu erlangen. Er wurde gesund, hielt jedoch sein Gelübde nicht, liess es ein Jahr lang anstehen und fiel wieder in die alte Krankheit zurück, schwerer noch als vorher. Da wurde ihm das Versäumnis der [Wall-]Fahrt bewusst. Und sobald es sich fügte, erfüllte er das Gelübde. Als er den wächsernen Fuss brachte und ihn im genannten Kirchlein Mariens im Ranft niederlegte, mit der demütiger Empfehlung und dem Ersuchen um Fürbitte bei Bruder Klaus, der zusammen mit dem Kranken aufrichtig zu Gott um Gesundheit dieses Kranken rief. Zur Stunde wurde er fröhlich und gesund von allen Beschwerden. In dieser Meinung hatte es der oben genannte Meister Wölflin beschrieben.
    
[*33] Hiermit wird nun weiter berichtet
Über das Ende des frommen Bruder Klaus.

  
Als nun die Zeit kam, dass unser allermildeste himmlische Gott und Vater seinen lieben Diener Bruder Klaus aus dieser Zeit und diesem Elend zu den ewigen Freuden nehmen wollte, liess er ihn vorher leiden an einer schweren Krankheit. Da er schon vorher gepeinigt und ausgemergelt war an seinem ganzen Leib, wurde dies nun auch den Knochen, Adern und dem Rücken zugefügt: grosse Ängste und Schmerzen, so heftig, dass er sich völlig ausgezehrt und mit erstorbenem Fleisch hin und her wälzte, kehrte und drehte, dermassen, das sei wohl vermerkt, dass er nicht mehr auf Erden bleiben wollte und konnte. Als er die Krankheit bis zum achten Tag nicht mit kleiner Geduld und mit Weh und Schmerzen ertragen und durchlitten hatte, begann er mit brennend und mit grossem Ernst nach der heilsamen, wegweisenden Speisung des wahren Leibes, Fleisches und Blutes Christi Jesu unseres lieben Herren zu verlangen. Nachdem er dieses Sakrament mit höchster Ehrerbietung empfangen hatte, legte er sich nach gewohnter Weise nieder auf sein Bett, das aus einer Lade [Holzbrett] bestand. Mit grosser Danksagung gab er, nicht ohne grosse Beschwerden und Schmerzen, seine tugendsame Seele auf, am Tag Sankt Benedikt, Mitte März, im Jahre 1487, im 71. Altersjahr [im Alter von 70 Jahren].
    
[*34] Bruder Klaus ist nun zum Himmel hinauf aufgegangen,
Hören wir, wie er bestattet wurde.

  
Nach dem so christlichen, ruhmreichen, selig zu verstehenden Ende des frommen Dieners, wurde der Leib nach altem löblichen Brauch und Gewohnheit in die Leutkirche St. Joder [Pfarrkirche St. Theodul] getragen, wie er es bei Lebzeiten empfohlen und gewünscht hatte, mit ernster Totenfeier, Gesang, Lesungen und Ehren, nicht allein von seiner Hausfrau, seinen Kindern, von Gesinde und Freunden, sondern auch von allen Priestern und einfachen Landsleuten von Obwalden. Er wurde in der Erde begraben, mit grossem Schmerz, mit Trauer und von manchen, die eine besonders herzliche Treue, Liebe und Zuneigung zu ihm hatten, unter Weinen und Klagen.
   
[*35] Eine Vision von dem frommen Mann,
Hinterliess er zuletzt den Seinen.

  
Und als nach drei Tagen Dorothea, die Ehefrau unseres seligen Landmanns, nach gewohntem und lobenswertem Brauch unserer frommen Eltern zum Grab ihres lieben Gemahls ging, mit treuem Ernst und Andacht, wurde sie sogleich getröstet, und es wurde ihr durch einen Boten kundgetan, er habe Nikolaus gesehen, ihren verstorbenen Ehemann, oben auf der Flüe (davon sein Geschlecht und er den Namen hatten). Mit grosser Klarheit sei er erschienen, in der Hand trug er eine Fahne mit einer Bärentatze, was zu bedeuten hatte, er habe jetzt durch seine grosse Ausdauer alle Widerwärtigkeiten des Fleisches, der Welt und des Teufels überwunden.
   
[*36] Zeichen und Wunder kann man sehen,
Die an Bruder Klausens Grab geschehen.
  
Als nun dieser Diener Gottes, unser lieber Bruder Klaus tot und begraben war, welcher Wandel und welches Wesen war so sehr sympathisch, ein Ebenbild und Spiegel aller Tugenden und des Christenglaubens auf Erden, die reichlich zu ihm hin geflossen sind, auch durch nochmaliges Lesen und Hören dieser seiner Legende und Geschichte, die so war ist wie das heilige Evangelium und so klar und rein, dass nun keine Wiederholung oder Nachahmung möglich ist, sondern allein fleissiges Lesen.
  
Unser so gütiger Vater im Himmel wollte dieses andächtige Volk, welches jetzt des lieblichsten Zuspruches beraubt ist, nicht peinigen mit Klagen, er begann in besonderer treuer Ersetzung die gedachten Menschen zu trösten, bis zum heutigen Tag, mit vielen und mannigfaltigen Zeichen und Wundern durch die Fürbitte des frommen seligen Bruder Klaus zu Gott, in allen anliegenden Nöten, seien es Krankheit, Kummer, Angst, Bedrängnis, Jammer und Mühsal. Jene, die damit belastet waren, kamen deswegen zum Grab des frommen seligen Mannes. [...]
   
[*37] Von einem Sohn [Niklaus] von Bruder Klaus,
Habe ich noch etwas zu schreiben.

  
Ich möchte es um der handfesten, rechtmässigen frommen Priesterschaft willen, wegen jenen, die da meinen, es sei ein jeder Christ Priester [allgemeines Priestertum bei den Evangelischen Christen], nicht übergehen und verschweigen, dass Bruder Klaus fromme Priester sehr hoch in Würden und Ehren hielt; er lobte und schätzte den Priesterstand, in seinem ganzen Leben. Er hatte auch unter seinen Söhnen einer, mit Namen Niklaus [Niklaus junior, Niklaus II.], dem er, als er bereits in der Einöde lebte, die Anregung gab, [das Weitere] anordnete und ihn mit seiner Einwilligung, seinem Wohlwollen und seinem Rat nach Paris schickte, damit aus ihm ein rechter, gelehrter, würdiger (durch das Studium) Priester werde, zum Lob und Wohlgefallen Gottes des allmächtigen, in allem Tun und Lassen. Der Sohn, gehorsam und folgsam, wurde Magister Artium und ein wohlbekannter, geschickter, ehrlicher Priester, etliche Jahre nach seines Vaters Tod auch Leutpriester [Pfarrer] in Sachseln, wo er auch sein erstes Amt zelebrierte. Meister Nikolaus schickte sich nach kurzer Zeit in einen Wandel mit grosser Gunst und allgemeiner Beliebtheit bei den Landsleuten, als tapferer Fürsorger seiner Pfarrei und als Seelsorger doch (vielleicht durch Erwerbung von Gott durch seinen Vater) wurde er mit zunehmenden Alter mit einer Krankheit schwer belastet. Als dies seinen frommen Untertanen bekannt wurde, war unter ihnen ein allgemeines Trauern und Klagen bemerkbar, mit vielerlei Bemühungen, um Heil und Gesundheit wieder zu erlangen. Zuletzt beschlossen sie, für ihren geistlichen Hirten eine ernste Wallfahrt zu halten, die dann auch von allen Kirchgenossen durchgeführt wurde, als Kreuzgang hinauf zu «St. Niklaus zu den Bänken» [St. Niklausen], um Gott den allmächtigen zu bitten und zu erwerben, wenn es ihm gefällig und seinem Willen gemäss sei, dass er ihnen ihren Hirten und geistlichen Vater nicht nehme, sondern wieder gesund werden lasse. Aber der Herr in seinem unerforschlichen Urteil handelte nach seinem Gefallen, und ehe sie wieder daheim waren, kam ihnen die unangenehme Kunde entgegen, dass für die Herde und ihren Hirten, Magister Niklaus von der Flüe die Tage seines Lebens geendet haben, dass er aus diesem Elende verschieden war. Mit nicht geringem Klagen und Trauern wurde er in der Erde bestattet, begraben und alle Seelrechte [Totenmessen, Gedächtnistage] wurden abgehalten. Gott verleihe uns allen, in seinem Willen zu leben, in seiner Gnade zu sterben, damit wir mit ihm ewig leben. Amen.
   
[*38] Erzählung, kurze Substanz und Grund
Was aus Bruder Klausens Leben kund,
Wie er war im rechten Glaubensbund.

  
So wurde nun die kurze wahre Geschichte des frommen seligen Gottesfreundes Bruder Klaus erzählt, sein ganzes Leben, seine Lehre, sein Wesen, Glauben und Sterben, darin kann ein jeder, sei es Mann oder Frau, geistlich oder weltlich, alt oder jung, sein Beispiel finden, so gut er mag, in allen Artikeln, Punkten und Stücken, angefangen nämlich wie er ein allerbestes Kind und durch alle Altersstufen von grosser Tugend war, wovon er keine ausliess, sein fleissiges Fasten, sein strenges Gebet ohne Unterlass, mit dem Zeichen des Pater noster [Bätti, Gebetsschnur] in den Händen, seine beachtliche Kontemplation, die unerhörte Abstinenz, darin er zwanzigeinhalb [19 und ein halbes] Jahre (etliche schrieben 20 andere sogar 21 Jahre). Item, seine grosse Demut, Zucht, Tugend, Güte, Versuchung und Peinigung durch den bösen Geist, seine gültige Lehre, die treue Aufsicht über sein Gesinde [seine Hausgenossen], heilige Liebe zur Gemahlin, item, das Bild unseres Herrn Jesus Christus, seiner auserwählten Gebärerin, der reinen Jungfrau Maria, der auserkorenen geliebten, mit er seine Kapelle, seine Zelle und Wohnung ehrte, als Weg und Spiegel [vgl. in diesem Zusammenhang den Ausdruck «Spiegel» mit dem Pilgertraktat (Quelle 048) und Gundelfingen (Quelle 052), in beiden Quellen ist das farbige Meditationsbild, bzw. das Gesicht im innersten Kreis der Spiegel], Fürbitte der Heiligen für uns und alle unsere Anliegen. Er wies auch darauf hin, für die armen Verstorbenen zu beten und ihnen zu verzeihen. Haben die Pilger von ihm einen Rat gewünscht, hat er sie in Treue unterrichtet und gelehrt. Die mündliche Beichte beim Priester hat der gute fromme Mann alle Monate einmal getan und dann das höchwürdige Sakrament empfangen, die Messe gehört, so oft er konnte und mochte, von denen Kraft, Stärke und Erhaltung seines Lebens ausgehen. Er lebte in so grossem Widerstand gegen das Schlechte, fromm und entschlossen etc., wie es aus der Geschichte zu hören ist, darin vermerkt ist und gefunden werden kann. Die hat er alles getan, gehalten und geglaubt, wo wie wir Christgläubigen es noch halten und glauben. Es ist nun nicht mehr als 68 Jahre her, im März dieses 36. Jahres [1536], seit seinem Tod und Weggang. Es sind aber noch viele da, Männer und Frauen, die seine gütige mündliche Lehre und Unterweisung selber empfangen und gehört hatten. [Der Schluss ist mit der Chronik Salats (Quelle 232) beinahe identisch.] Deshalb kann es seit seinem Tod und Weggang nicht stattfinden, dass der Glaube, in dem er lebte und starb, von den Böswilligen eingezogen, erneuert und verändert wird, sondern er wird der gleiche bleiben, und wenn Gott will, immer bleiben. Denn jeder weiss, dass Gott dem allmächtigen nichts anderes gefällt, als das rechte zu tun. Dass ihm aber Bruder Klausens Glauben, Tun und Werk gefallen hatte, bezeugt er mit Zeichen und Wunder, die er durch ihn vollbringt. Hatte es nun aber Gott gefallen, dann war es ohne Zweifel auch das rechte und allerbeste. Hat sich also sein Glaube in seinem Leben und Wesen bewährt und erhalten, dann der allmächtige Gott, der ein Gott der Seelen und nicht des Fleisches ist, Bruder Klaus so hoch geachtet, dass er seinen Leib 20 Jahre im Leben und Wesen erhalten hatte, wie oben gehört, ohne leibliche Nahrung. Hätte er ihn jedoch im Glauben (wie es gesagt werden möchte) irren lassen und die Seele nicht höher geachtet (er, der doch wegen der Erhaltung der Seelen zur Erde gekommen war), dann wären sie [die Seelen] als ungläubige verloren gegangen (denn ausserhalb des Glaubens kann niemand selig werden). Wer wollte also ein so grobes Verständnis und eine so vermessene Bosheit haben, so teuflischer Meinung sein, der solches zu reden und zu glauben empfehlen dürfte. Denn solches wäre der Gerechtigkeit unseres gütigen Gottes und nicht weniger auch seiner grossen Barmherzigkeit, nachteilig und abbrüchig und eine Schmähung seiner göttlichen Gnade. Deswegen hatte Bruder Klaus den rechten wahren Glaube Christi gehabt, ja auch die haben ihn, die ihm gleich im Glauben handeln und in dem, was er lehrte, nachfolgen. Dass dann sein rechter Glaube, seine Werke des Erhaltens und Beschirmens, seine Lehre und seine Handlungen Gott gefällig und als gerecht gegolten haben, wissen wir aus der ganzen Schrift [Bibel], und auch dass der Glauben allen Dingen vorausgehen muss, [der Glaube,] nach dem wir getauft sind. Und er ist uns von Nöten für die Seligkeit, so wie Christus sprach: Wer nicht glaubt, der wird verdammt und ist jetzt verurteilt (Joh 3,18). Ohne den Glauben ist es unmöglich Gott zu gefallen, und der Glaube ist eben das, wodurch der Mensch bei Gott für gerecht geachtet wird, wer zu Gott will, muss glauben. Item, durch Gnade sind sie geheilt, durch den Glauben (vgl. Eph 2,8). - O, dein Glaube hat dich selig gemacht ... O Herr, deine Augen schauen auf Glauben, O ich werde dich mir vermählen im Glauben. Und was nicht aus dem Glauben geschieht, baut hin zum ewigen Tal der Verdammnis etc., wovon alle Schrift [Bibel] voll ist.
  
So kann niemand ohne den rechten, wahren Glauben selig werden, und alles Tun ist umsonst. So hatte auch unser Bruder Klaus stets den rechten, wahren Glauben und aus dessen Kraft ein seliges Leben, wundervoll, so wie er es ohne Glaube nicht hätte haben können. Sodann will bei ihm der Glaube auch gute Werke mit sich haben, darum erweist sich der Glaube in seinen Werken und umgekehrt. Alles und jedes, das anders als gerecht, fromm, selig, gottgefällig ist und eben das, was Gott von uns fordert, ist gewesen, ist noch und wird ewig bleiben.
  
Darum lasst uns Bruder Klaus nachfolgen, und niemand soll sich davon abwenden, durch Zweifel, Verdruss oder Nachlässigkeit, auch nicht durch Widersprüche führen lassen. Denn wir müssten uns vor der Welt schämen beim Ansehen unseres so frommen, gerechten, lieben Eid- und Bundesverwandten Bruder Klaus und von Gott gestraft werden mit höherer Verbannung, als bei anderen Komunen [Gemeinschaften]. Also werden wir durch Frömmigkeit und gute Werken, die wir es von ihm lernen, und durch Umkehr von der Sünde zur Busse das Ende unseres Elends zu erreichen, und es werden die uns vorausgesagte gute Zeit und ruhigen Jahren zu uns kommen, fördern und reitzen. Denn wenn wir zu Gott umkehren, will er uns alles Elend abkürzen, alle Angst, Not und Trübsal und uns daraus herausholen, so wie Noa durch die Arche und Abraham in der Herausführung aus dem Land Sinear [Mesopotamien], Loth aus Sodom und die Israeliten aus der Gewalt des Pharao etc.
  
Denn die frommen, gerechten Menschen und Freunde Gottes können ihn nicht nur bitten um anstehende Sachen, sondern er hält die seinen so hoch, dass sie ihm auch zu gebieten haben und er - bei Anrufen seinem Erbarmen -, nichts gegen sie tut, ihnen nichts abschlägt und versagt. Dann kann jedoch eine ganze Stadt, Land oder Gemeinschaft durch eine kleine Zahl von Frommen in den Genuss der Abwendung allen Übels kommen und dadurch Frieden erlangen, Ruhe, Gnade und Einigkeit des alten wahren Christenglaubens, und die arme, ermüdete, verwaiste löbliche Eidgenossenschaft, um darin wieder weiterhin miteinander christlich und brüderlich zu leben, hier in dieser Zeit und darauf hin, dass uns nach dieser Pilgerschaft und diesem Jammertal uns so, wie dem frommen und lieben Bruder Klaus, ewige Freude und Seligkeit. Amen.
  
J. S. G. S. Z. L. [Johann Salat, Gericht-Schreiber zu Luzern].

Schlussbild
  
[Schlussbild aus Salats Brünigzug, Blatt 68, Originalpergamenthandschrift von 1534 im Staatsarchiv Obwalden]
    
  
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