Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Und Dorothea? Wer war sie?
  
   Was hat sie uns heutigen Menschen zu sagen?  
  
Seit zwei Jahrzehnten zieht es meinen Mann und mich aus dem Landkreis Altötting in Bayern immer wieder nach Flüeli und in den Ranft. Ein Grund dafür: Bruder Klaus ist der Patron der Katholischen Landvolkbewegung in Deutschland (KLB), in der wir beide mitarbeiten und die für uns eine geistige Heimat ist. Und es fällt auf:
  
Glasmalerei von Jacques DüblinIn den letzten Jahren wird nicht nur im Geburts- und Wohnhaus, sondern bei den Gottesdiensten und Andachten im Ranft oder auch in entfernteren Orten wie beispielsweise in Stalden immer von Bruder Klaus und Dorothea gesprochen. Mich freut das, denn für mich sind sie zusammen als Ehepaar lebendig und richtungsweisend.
  
Dorothea stand jahrhundertelang im Schatten ihres Mannes, des grossen Friedensheiligen Bruder Klaus von Flüe. Doch war nicht gerade ihr Ja zur Lebensweise ihres Klaus eine Grundlage für den Segen, der von diesem Leben ausging und ausgeht?
  
Wir kennen das grosse und gewiss schmerzlich errungene JA-Wort des Jahres 1467, mit dem sie ihren Mann wegziehen lässt und ihm damit die Brücke baut für einen neuen Lebensweg.
  
Sie hat aber nicht nur das eine grosse Ja gesprochen, im Laufe ihres Lebens hat sie viele Ja’s gesprochen:
  
  • Ja zu seinen Ämtern,
  • Ja zu seinem Beten und Fasten,
  • Ja zu seinem sonderbaren Gebaren, geprägt von den Visionen,
  • Ja zum Gerede der Leute,
  • Ja zu seinem Ringen um den Willen Gottes,
  • Ja zu seinem Leben in der Ranft und
  • Ja zu einem neuen Miteinander:
    nach dem Weggang hat sie gelernt, ihrem Manne zu begegnen.
  
Über das Leben der Dorothea wissen wir wenig, aus den Aufzeichnungen über Bruder Klaus können aber diese Lebensdaten gefolgert werden:
  
Dorothea Wyss, Ratsherrentochter aus der Schwendi über dem Sarner See, heiratet 1446 im Alter von ca. 15 Jahren den um ca. 15 Jahre älteren Nikolaus von der Flüe. Sie gebar fünf Söhne und fünf Töchter, und gab 1467 ihrem Mann das Einverständnis, in die Einsamkeit zu ziehen. Sie besuchte Bruder Klaus im Ranft und versorgte seine Besucher gelegentlich mit Nahrung. Sie war beim Sterben von Bruder Klaus dabei.
  
In dem 1994 erschienenen Buch von Werner T. Huber sind die schriftlichen Äusserungen über Dorothea zusammengestellt (Dorothea, die Ehefrau des hl. Niklaus von Flüe, Universitätsverlag Freiburg Schweiz).
  
Mein Nachfragen bei Schweizer Historikern nach Stellung und Aufgabenbereich einer Bäuerin im 15. Jahrhundert erbrachte erstaunliche Ähnlichkeiten mit unserer Zeit. Denn damals hatte die Frau in Haus, Hof und Familie eine verantwortliche Stellung. Erst in den dazwischenliegenden Jahrhunderten rückten die Frauen in den Schatten der Männer. Anders aber als heute hatten die mittelalterlichen Menschen die Gemeinschaft, die Grossfamilie im Blick, nicht die Einzelperson. Die Lebensweise war kollektiv und nicht individuell gestaltet.
  
Aufgabe von Dorothea war es demnach, dem grossen Bauernhaushalt vorzustehen und sich um die Ernährung, die Vorräte, die Kleidung (Flachs!) und die Kindererziehung zu kümmern. Die Söhne kamen ab dem 7. Lebensjahr zum Vater in die Lehre. Der oftmals abwesende Ehemann hinterliess ihr immer wieder einen Teil seiner Aufgaben auf Hof und Feld, solange bis die Söhne alt genug waren.

Aber eigentlich möchte ich Dorothea selbst erzählen lassen! 

       

Wer war sie? – Dorothea Wyss erzählt:

«In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde ich geboren als Tochter der Eheleute Wyss und getauft auf den Namen Dorothea. Meine Kindheit und Jugend verlebte ich nahe am Sarner See, geborgen und ohne Hunger zu leiden. Das war nicht selbstverständlich, denn es waren wirre Jahre, immer wieder wurde Krieg geführt, gab es brache, nicht bestellte Felder, Plünderung und Totschlag. Mein Vater erzählte von seinen Ratsgeschäften nicht viel zuhause, aber oft merkte ich es ihm an, dass er litt unter den Entscheidungen und Bedrängnissen.

Wenn ein Krieg zuende war, wurde das Leben wieder freier, unbeschwerter, fröhlicher, es gab wieder reichlichere Ernten, Märkte, Reigen und Tanz.

In solchen Zeiten dankten Mutter und Vater jeden Tag für den Frieden und baten Gott, dass es eine lange Zeit so bleiben möge.
  

Junges Eheglück

Manchmal sprach mein Vater von dem Flüeli-Bauern, ein junger Mann mit Namen Nikolaus, dem die Gerechtigkeit stark am Herzen lag. Von ihm erhoffte er sich im Rat Stärkung und Unterstützung. Ich kannte ihn nicht, aber ich konnte mir vorstellen, wo sein Hof liegt - auf der Jenseite des Sarner Sees gab es auf der Höhe ein gerodetes Felsplateau; von dem Flüe hatte die Familie ihren Namen. Vater erzählte bewundernd von diesem stattlichen Bauern, der einen geraden Weg suchte und die vielen Ungerechtigkeiten und Bestechungen bekämpfte.

Ich war ganz aufgewühlt, als ich begriff, dass dieser Nikolaus um mich zu werben begann. Schliesslich war ich ganze 15 Jahre jünger. Und Freude, Stolz und Angst machten sich gleichermassen in mir breit. Freude und Stolz bewegte mein Herz bei der Vorstellung, die Frau eines so stattlichen, redlichen und gläubigen Bauern zu werden. Angst schlich sich zwischen dieses Hochgefühl des Glücks, wenn ich an unseren Altersunterschied, an das grosse Haus und die vielfältigen Aufgaben dachte. Und wenn ich seine innere Kraft spürte! Aber genau diese Kraft zog mich auch zu ihm hin und wir gaben uns das Ja-Wort.

Ich durfte in sein grosses, neugebautes Haus einziehen. Nikolaus wirtschaftete grosszügig und sparsam zugleich. Es fehlte uns an nichts,er selbst aber lebte karg.
  

Leben auf dem Hof

Arbeit gab es reichlich auf dem Flüeli-Hof, besonders als wir uns gegen den Rat vieler entschlossen, von der Felderwirtschaft auf die Viehwirtschaft umzustellen. Die Familie wurde immer grösser, vier Buben und fünf Mädchen habe ich geboren. Das Gesinde mehrte sich, denn für die Bereitung der Nahrung, der Vorräte und der Kleidung brauchte ich Hilfe. Nikolaus war viel unterwegs in den Aufgaben seiner Ämter, auf den Almen und auf den Märkten. Und im Krieg! Und wenn er zuhause war, kamen Leute mit ihren Rechtsanliegen; wir haben neben dem Eingang unseres Hauses eine Ratsstube eingerichtet, in dieser konnte er vielen Menschen zu ihren Rechten verhelfen in dieser verworrenen Zeit. Manche warteten bei mir in der Küche, bis Nikolaus heimkam. Wir waren froh, als unsere ältesten Söhne Hans und Walter mitanpackten auf dem Hof.

Denn oft konnte ihr Vater gar nicht arbeiten, wenn er nachhause kam. Bis ins Innerste liess er sich treffen von den Bestechungen, von der Macht des Geldes, von den Ungerechtigkeiten den einfachen Menschen gegenüber, von den Missständen in der Kirche. Obwohl er immer noch mehr betete und fastete, er fühlte eine immer grössere Ohnmacht. Eines Tages legte er alle seine Ämter nieder.

Er erzählte mir von Bildern, die sich ihm auftun und daraus er gerne lesen möchte, was Gott von ihm will. Diese Sprache Gottes war etwas Fremdes für mich, das merkte auch Nikolaus. Und er suchte die Einsamkeit und sprach immer weniger. Er stand auf zum Gebet, wenn wir alle im Bett waren. Oder er ging gleich längere Zeit zur Melcha hinunter. Dort wusste ihn niemand und ich fühlte es, dass er mit seinem Gott allein sein will.
  

Zeit der Unruhe

Aber ich wusste nicht, wohin sein Weg, unser Weg führte. So von einer Unruhe getrieben, niedergedrückt, wortkarg kann es nicht auf Dauer bleiben. Neunzehn Jahre waren wir jetzt verheiratet, aber so fremd und unnahbar war mein Mann noch nie. Manchmal spürte er meine Sehnsucht, dann bemühte er sich, zu bleiben. Ich war nochmals in guter Hoffnung. Nikolaus aber konnte auch durch dieses keimende Leben in mir keinen inneren Frieden finden. Diese meine Hoffnung erfüllte sich nicht. Ganz im Gegenteil: Er wurde noch unruhiger, noch rastloser, noch leidender. Er sprach von Gottes reinigendem Sporn an ihm. Ich war froh, dass sein Priester-Freund ihn besuchte. Danach ging er allerdings noch öfter und noch länger zur Melcha hinunter und fastete vier Tage in der Woche ganz. Manchmal sah er aus, als ob er von einem Kampfe käme. Die Kinder fragten mich oft nach dem Vater, die Leute redeten gar viel und ich wusste wenig. Ich spürte nur sein Leiden und seinen Kampf.

Erleichterung und Angst gleichermassen umfing mich, als er mich nach langer Zeit wieder mit meinem Namen ansprach und mir sagte, dass sein Ringen um einen Weg ein Ziel gefunden hat. Er müsse weggehen von uns, von dem Hof, er müsse Gott ganz dienen. Aber er könne nicht gehen ohne mein Ja-Wort. Er müsse mich ein zweitesmal darum bitten.
  

Die Entscheidung

Gerade als wenn er mir es übergeben hätte: Jetzt befiel mich die Niedergedrücktheit, die Unruhe und die Suche nach der richtigen Entscheidung. Ich fühlte das Glück unserer Ehejahre zerrinnen, ich fühlte noch grössere Einsamkeit, ich haderte mit seinem, mit meinem Gott, aber ich fühlte, dass mein Nikolaus nicht mehr daheim sein kann. Es treibt ihn weg von uns, manchmal konnte ich denken: Er treibt ihn weg! Es war eine unwiderstehliche Kraft, der ich mich dreinzugeben hatte, sonst würde mein Mann zerbrechen. Und ich sprach mein Ja.

Die Last einer schweren Entscheidung ist geringer als keine Entscheidung. Nach 20 Ehejahren hat sich Nikolaus am Gallustag von einem jeden von uns verabschiedet. Nur bekleidet mit einer Leinen-Kutte ging mein Nikolaus als ‹Bruder Klaus› in Richtung Elsass zu den ‹Gottesfreunden›.

Viele Fragen wurden mir jetzt gestellt. Und ich traute meinen Ohren nicht, als mein Schwager Peter von unserer Alm kam mit der Nachricht, Klaus sei dort oben und lässt seinen Priester-Freund rufen, weil er seinen weiteren Weg nicht mehr weiss und weil es ihn nach nichts mehr zu essen und zu trinken verlange.

Unerhört – nach so langem Ringen wieder die Ratlosigkeit!
  

Der Platz, Gott zu dienen

Vier Strahlen am Himmel sollen ihn in den nahen Ranft schicken. Ein Bretterverschlag soll seine Bleibe sein. Ist das der richtige Platz, an dem er ganz Gott dienen kann?

Ich verstand es nicht – aber es war so.

Bald sahen wir Menschen hinuntersteigen, auch Neugierige waren darunter, die den Mann ohne Speis und Trank sehen wollten. Die Neugierigen wurden weniger, die Ratsuchenden mehr. Die Dorfleute halfen, eine Klause zu bauen und bald eine Kapelle daran.

Ich habe mich am Gallustag von meinem Nikolaus für immer verabschiedet in Erdentagen. Werde ich es wagen, jetzt zu ihm hinunterzusteigen?

Obwohl der Weg zur Ranft kurz ist, für mich war es ein langer Weg, als ich zum erstenmal zu Bruder Klaus hinunterstieg. Ich wagte es, ebenso wie immer mehr Menschen aus nah und fern, seinen Rat zu holen.
  

In innerem Frieden

Ich bin froh, dass ich es gewagt habe, denn dort unten merkte ich, dass mein Bruder Klaus seinen inneren Frieden gefunden hatte. Wenn im Flüeli oben die Einsamkeit an mir nagte, das Hadern mich überfiel, dann konnte ich jetzt an sein friedvolles Gesicht denken - das Gesicht, das ich zwei lange Jahre ganz anders erlebt hatte. Und ich durfte immer wieder Menschen begegnen, denen er einen Weg gewiesen oder einen Trost gegeben hatte. Manchmal ging ich zur Messe hinunter.

Unsere Söhne haderten viel länger als ich. Sie schlugen auch einen ganz anderen Weg ein als ihr Vater. Sie übernahmen zwar auch politische Ämter, füllten sie aber so aus, wie gar viele in dieser Zeit: Sie erlagen der Versuchung von Bestechung, Korruption und der Macht des Stärkeren.

Manchmal war es zum Zerreissen für mich. Aber der Weg in den Ranft und seine ruhigen, weisenden Worte und das Wissen um sein Gebet liessen mich dies alles ertragen.»
   

Was hat Dorothea uns heutigen Menschen zu sagen?
  
Aus dieser Lebenserzählung von Dorothea höre ich vier Botschaften für uns heutige Menschen:
  
1. Ehe ist Leben mit Unbekanntem!
2. Aufgaben haben die Bedeutung in meinem Leben, die ich ihnen verleihe!
3. Die Phasen einer Ehe bedürfen der sorgsamen Gestaltung!
4. Zur Erziehung von Kindern gehört die Einsicht, dass wir vieles nicht in der Hand haben!
  
Ehe ist Leben mit Unbekanntem
  
Die Ereignisse des Lebens, die Aufgaben, die Beziehungen, das Gelingen und das Misslingen prägen einen jeden von uns mehr als wir manchmal wahrhaben wollen. Wohin sie prägen, lässt sich nicht voraussagen und wie wir mit den Prägungen des Partners zurechtkommen auch nicht.
  
Ich stelle mir vor, dass Dorothea an der Seite ihres älteren und mit Gott und Menschen erfahrenen Ehemannes viele Reifeschritte tun konnte. Aber dass sein «Gepackt-Sein» von Gott und die vielen Nöte der Menschen um ihn herum ihn auch mitunter unnahbar und unverständlich, ja kantig gemacht haben. Hier das eigene Harmoniebedürfnis zurückzustellen, Grenzen des Eins-Seins anzunehmen, ja eine gewisse Fremdheit zu ertragen, kann ein langer Weg der Reife sein. Ein Weg, auf dem zwar immer wieder innige Liebe spürbar ist, aber auch Strecken des Unverständnisses, der Enttäuschungen und des Schmerzes.
  
Aber ich meine, auch verheiratete Menschen haben ihre eigenen Lebensaufgaben, ihre Talente, ihre eigenen Berufungen. Sie gegenseitig zu entdecken, sich dabei zu stützen und zu stärken und die Möglichkeiten des Gemeinsamen und die Grenzen des Verzichtes auszuloten in den verschiedenen Ehephasen ist eine ständige Herausforderung.
  
Dies kann gelingen auf dem Grundfest der gegenseitigen Achtung, des ständigen Gesprächs und der Suche nach Gottes Willen in unserem Leben.
  

Aufgaben haben die Bedeutung in meinem Leben, die ich ihnen verleihe

Viele Menschen in einem Haus zu ernähren und zu kleiden und eine Atmosphäre des Angenommenseins zu schaffen ist keine geringe Aufgabe. Dazu kommt bei Dorothea das Einspringen für ihren Mann bei seiner Abwesenheit, die Begegnungen mit den Menschen, die vor seinem endgültigen Weggang ins Haus kamen und dann mit Pilgern. Und es kann eine unsichtbare, aber grosse Aufgabe sein, Mitwisserin und Mitträgerin von Unaussprechlichem zu sein.

Ich bin überzeugt, dass ein jeder von uns vom Schöpfer mit sinnerfüllenden Aufgaben betraut ist im Laufe des ganzen Lebens. Nur wir sind manchmal versucht, Bedeutung und Grösse von Aufgaben an ihrem «äusseren» Ansehen, also von der vermeintlichen Mehrheitsmeinung der Gesellschaft her zu beurteilen. Aber: Wir dürfen den Aufgaben, die uns das Leben stellt, ihren Sinn und ihre Bedeutung selbst verleihen in ihrem Bezug zu uns selbst, zu unseren Mitmenschen, zu Gott.
  

Die Phasen einer Ehe bedürfen der sorgsamen Gestaltung

Eheliche Partnerschaft ist ein Weg mit unterschiedlicher Nähe- und Distanz-Intensität, bedingt auch durch unterschiedliche Anforderungen.

Die Zeit einer Ehe mit erwachsenen Kindern wurde im Mittelalter «Restzeit» genannt und kam wegen der geringen Lebenserwartung selten vor. Heute kann diese Phase des wieder Zu-Zweit-Seins die längste Ehephase sein. Und diese verdient daher den gestaltenden Blick.

Die meisten heutigen Ehepaare werden nicht herausgefordert, sich auf eine so neue und andere Beziehungsform einzulassen, wie Dorothea und Bruder Klaus es seit seinem endgültigen Leben in der Ranft taten.

Aber jede grössere Veränderung, z. B. Pubertät und Berufsbeginn der Kinder, hat Auswirkungen auf die Partnerschaft. Sich auf Schwierigkeiten und Chancen der Veränderungen nach dem Erwachsenwerden der Kinder und im fortschreitenden Lebensalter einzustellen, ist der erste Schritt zu gestaltenden Überlegungen und zu klärendem Gespräch. Denn Veränderung bedeutet nicht automatisch Verlust, Veränderung kann genauso Reichtum bedeuten.
  

Zur Erziehung von Kindern gehört die Einsicht, dass wir vieles nicht in der Hand haben

Das gläubige, gottverbundene Elternpaar Dorothea und Nikolaus hatte «Sorgensöhne»: Der älteste Sohn Hans trat politisch in die Fussstapfen des Vaters, übte aber diese Ämter so aus, wie es der Vater verabscheute, nämlich dem Zeitgeist entsprechend, von Bestechung und Korruption beeinflusst. Der zweitälteste Sohn Walter hatte eine etwas stärkere Verbindung zu Bruder Klaus, er war aber ein ausgesprochener Krieger.

In diesen Ereignissen liegt für mich ein grosser Trost für die vielen Eltern heute, deren erwachsene Kinder so ganz andere Wege gehen in Glaube und Kirche, in Sexualität und Partnerschaft. Sie wählen ganz andere Lebensgestaltungen, als ihre Eltern es ihnen vorgelebt haben. Zuviele Eltern martern sich mit Schuldgefühlen! Denn:
  

Erziehen heisst nicht die genauen Wege der Kinder bestimmen können und dürfen.

Erziehen heisst, die eigene Lebens-, Welt- und Glaubenssicht leben und begründen, darauf vertrauen, dass dieses Grundfest der tragfähige «Unterbau» für den dann eigenen Weg eines jeden Kindes ist. Dass diese eigenen Wege der Kinder heute oftmals ganz anders ausschauen wie die Wege der Eltern liegt auch an dem erstmals in der Weltgeschichte so rasch stattfindenden Wandel des Lebens.

Welche Beurteilung diese Wege in den Augen Gottes finden, werden wir in diesem Leben nicht erfahren. Wir dürfen allerdings darauf vertrauen, dass Gott alle Wege mitgeht und dass Umwege in unseren Augen in Seinen Augen Reifungs-Wege sein können.

Erziehung heisst von Anfang an loslassen und helfen, dass das Kind zu seiner Persönlichkeit findet. Gestalt, Talente, Schwächen und Aufgaben dieser Persönlichkeit haben wir nicht in der Hand. Erziehen heisst auch loslassen von «Über-Verantwortung»!

Dorotheas Weg zeigt mir, dass Leben immer wieder Entscheidungen fordert, dass Entscheidungen immer ein Wagnis beinhalten, dass Leben viel Unvorhergesehenes mit sich bringt und dass es unverständliche Lebensstrecken gibt. Ein Bild hilft mir, in unverständlichen Strecken durchzuhalten: Das Bild vom Teppich! Ein Teppich hat eine Werk- und eine Schauseite. Auf der Werkseite geht es oft wirr durcheinander, sind Knöpfe und Fäden – dieses Durcheinander ist aber die Rückseite eines wunderbaren Musters. Der Blick für die Muster unseres Lebens ist uns oft nur ansatzweise geschenkt, entgültig wird ihn uns erst die Todesstunde bescheren.

Gott, die Menschen und das Leben sind nicht in Formen zu pressen, nicht berechenbar, nicht kalkulierbar, nicht einklagbar – es gilt sich einzulassen, zu suchen, anzunehmen und zu vertrauen, dass der grosse Gott einen guten Weg mit einem jedem von uns geht.
  

Dorothea - ein Leitbild für uns heute?

Manchem Zeitgenossen mag sie zu demütig erscheinen, sich zu stark zurückzunehmen, zu wenig eigenständig sein, nicht durchsetzungsfähig, wie man heute zu sagen pflegt. Ist das nicht allenfalls der erste, oberflächliche Blick, der so urteilen lässt?

Ich meine, ihre Lebenshaltung zeigt, dass sie eine starke Frau war, denn – schauen wir in unser Leben:

  • Es erfordert eine starke Persönlichkeit, eine Liebe zu leben, die Freiheit lässt;
  • es erfordert eine starke Persönlichkeit auch heute oder gerade heute, den Willen Gottes über das eigene Wollen zu stellen und
  • es erfordert eine starke Persönlichkeit gerade in unserer Zeit, in der fast alles machbar geworden ist, verzichten zu können und loszulassen um eines höheren Zieles willen.
  • Für mich ist sie eine Frau, die wirkliche Liebe gelebt hat, wirkliche Liebe zu ihrem Mann, zu Gott, ich traue mir sagen, zu Gott und zu den Menschen - wie es auch unser Lebensauftrag ist. Dadurch ging und geht soviel Segen aus vom Leben dieser beiden Menschen: Bruder Klaus und Dorothea.

Hedwig Beier, D-84533 Haiming / www.hedwig-beier.de  ·  E-Mail
  
Abbildung oben: Bruder Klaus nimmt Abschied von seiner Frau Dorothea und den Kindern. Glasmalerei (Ausschnitt) von Jacques Düblin für die Landesausstellung 1939 in Zürich.
  
… Mitte: Dorothee und ihr Kläusli. Bronzestatue beim Turm der Sachsler Pfarrkirche von Rolf Brem 1991, gestiftet vom Schweizerischen Verband Katholischer Bäuerinnen.

  
Website der Autorin «Hedwig Beier»
  
Dorothea-Hearing, Flüeli-Ranft 1995 (PDF)
  
Die Ehe von Bruder Klaus und Dorothea als prophetisches Zeichen (PDF)
  
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