Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
Bruder Klaus  
  
 
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   Quellen - Bruder Klausund Dorothea
  
  
Der junge Mann aus Burgdorf
  
Quelle Nr. 047

  

  
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Zeit: um 1487
  
Herkunft: Staatsarchiv Luzern, Abschrift Mitte 16. Jh., in einem Quartheft zusammen eingebunden mit dem Bericht des unbekannten Dominikaners (Quelle 005).
  
Kommentar: Wann der Jüngling aus Burgdorf Bruder Klaus im Ranft besuchte, ist nicht bekannt. Bruder Ulrich war dem Inhalt des Berichtes gemäss bereits dort, er ist lange vor 1474 in die Melchaaschlucht gekommen. Der Brief an einen Freund lässt darauf schliessen, dass der junge Mann mindestens zweimal dort war. Als er über die Begebenheiten schreibt, dürften seit seinem ersten Besuch wohl Monate vergangen sein, wenn nicht sogar Jahre. Vermutlich fühlte er sich erst dann veranlasst, etwas über die Erlebnisse mit seinem «Lehrer» aufzuschreiben, als er vom Tode des Einsiedlers hörte. – Er hatte sich alles zurechtgelegt, was er mit dem Einsiedler besprechen wollte. Zudem meinte er, von Bruder Klaus nur noch die Bestätigung der schon bereiten Antworten zu benötigen. Diese Erwartung erwies sich als falsch. Zugleich wird deutlich, dass sich der junge Mann mit seinen festgelegten Vorsätzen höchst unsicher fühlte. Als er mit Bruder Klaus sprach, schienen ihm sein Denken und Reden nicht mehr zu gehorchen, er sagte völlig anderes, als er eigentlich meinte und sich zu sagen vorgenommen hatte. In diesem sonderbaren Lehrer-Schüler-Verhältnis entwickelt sich aus der Verwirrung heraus ein karger Weg, scheinbar ohne Ziel. Der Einsiedler gibt keine fertigen Rezepte, erteilt keine Befehle, er will dem Ratsuchenden helfen, in seinem eigenen Innern die Antwort, die Lösung zu finden. Oft ist die Lösung nur eine Loslösung von festgefahrenen Meinungen und Gewohnheiten. Der Jüngling scheint einfach nicht weiter zu kommen. Was später aus ihm geworden ist, gibt er nicht bekannt. Wahrscheinlich hat sich äusserlich durch die Begegnung nichts Wichtiges verändert. Dass er aber in sich selbst ein Anderer geworden ist, davon zeugt doch seine grosse Verehrung für den Einsiedler. – Von der bauernschlauen Schlagfertigkeit des Ranfteremiten wird er wohl gehört haben. Darum hätte er sich eigentlich nicht zu wundern brauchen, dass dieser auf scheinbar banale Fragen ungewöhnliche Antworten gab. Im Zusammenhang mit dem Leiden Christi [Leiden Jesu, Passion Jesu, Passion Christi] vom Tanzen zu reden, das war allerdings zu viel, das erschien ihm völlig deplatziert. Bruder Klaus blieb nicht unbemerkt, dass sein lerneifriger Schüler verärgert war, trotzdem wiederholte er die Sinnspitze: «Ja, als solt er an ain dantz gon.» In den Visionsberichten von Caspar Ambühl (Quelle 068) heisst es ebenfalls (zweimal), Bruder Klaus habe bei seinen Passionsbetrachtungen «Kurzweil und Freude» gefunden.
  
Referenz: Robert Durrer, Bruder Klaus-Quellenwerk, 404–407

  

   Von meinem geliebtesten im Herrn Jesus Bruder Klaus zu Unterwalden, der am Benediktstage 1487 gestorben ist.
  
Ewiger Segen im Herrn! Geliebter Walther, mein Bruder! Eure Frömmigkeit wünscht, dass ich das aufschreibe, was ich aus dem Mund des Bruder Niklaus unter der Flüe gehört hatte. Was Ihr begehrt, das will ich tun. Die Verwirrung bei seinem Anblick erfasste mich jedoch sehr, und darum wagte ich diesen Manne nur wenig zu fragen. Mich tröstet hingegen oft, dass er entsprechend seiner besonderen Natur mit solchen viel gesprochen hat, deren Gewohnheit es ist, viel zu fragen. Das habe ich von anderen vernommen.
  
Da ich also das erste Mal zu ihm kam, tat ich eine einzige Frage, nämlich: Ob es mir erlaubt sei, in dieser Gegend zu bleiben, um Gott zu dienen, obwohl meine Eltern nichts davon wüssten und ich selbst deshalb mit meinem Gewissen nicht im reinen sei. Der Gottesmann erwiderte kurz: «Wenn du Gott dienen willst, musst du dich um niemanden kümmern. Wenn du aber hier bleiben möchtest, um gute Tage zu erleben, so bleibst du besser bei den Deinen zu deren Unterstützung.» Mit dieser Antwort war ich zufrieden. So ging ich wieder fort, in meiner Torheit, ohne ihn weiter zu fragen über Gott und göttliche Dinge. Denn ich war ja kein Sohn, sondern nur ein Knecht, so dass die Furcht eine vertrauliche Annäherung ausschloss. Doch heute will ich kein ungetreuer Sohn sein.
  
Unterdessen aber, als ich nach Burgdorf zurückkam und immer häufiger bei mir erwogen hatte, welchen Stand ich wählen sollte, um Gott zu dienen, ging ich wieder dorthin. Aber als ich, um den Rat des Gottesmannes zu holen, zu dessen Einsiedelei kam, fand ich ihn nicht. Erst nachdem ich lange gewartet hatte, traf ich den Ersehnten, und, als ich auf ihn zueilte, reichte er mir die Hand und sagte: «Willkommen». Darauf ich: «Willkommen seid Ihr auch mir, wie lange habe ich Eure Ankunft gewünscht,» und ich fügte bei: «Ich war vor vielen Tagen bei Euch und fragte, ob es mir erlaubt sei, in dieser Gegend zu bleiben, um Gott zu dienen ohne Wissen meiner Eltern, und Ihr habt mir eine Antwort gegeben, die mir genügte. Jetzt aber, entschlossen, in dieser meiner neuen Heimat Gott zu dienen und von dem vorigen Zweifel befreit, komme ich wieder, um Euch um Rat zu bitten, in welchem Stande ich Gott dienen solle.» Als er das hörte, setzte er sich auf einen Steinhaufen, und ich setzte mich zu seinen Füssen. Er fragt mich, nach welchem Stande sich mein Gemüt hinneige.
  
Hier halte ich es für nötig, den Lauf der Erzählung zu unterbrechen und etwas einzufügen, was ich weiter oben hätte sagen sollen. Als ich nämlich die Heimkehr Bruder Klausens abwarten musste, ging ich unterdessen zu Bruder Ulrich, dem ich als einem besonderen Gottesfreund vertraute, und erklärte ihm meine Lage und dass ich zum Einsiedlerstand hinneige; und ich legte ihm auch dar, wie lange ich bisher die Angst mit mir herumschleppte und wie ich zur Zeit in provisorischem Zustand zu bleiben gedächte, bis ich so viel Geld gesammelt hätte, dass es zum Bau einer Hütte, zu einem Gärtchen und dem für die Erhaltung des Körpers Nötigen ausreichte. - Dieser antwortete, alles das, was ich ihm dargelegt hätte, gefalle ihm wohl; und mit diesem Entschluss ging ich von ihm weg.
  
Aber wie wunderbar ist, was ich jetzt berichte. Als mich nämlich Bruder Klaus fragte, zu welchem Stand ich hinneigen würde, verkehrte sich die Rede in meinem Mund und ich konnte ihm kein Wörtlein von all dem sagen, was ich vorher so lange bei mir erwogen und mit dem anderen Bruder abgemacht hatte. So antwortete ich dem Fragesteller, indem ich ihm den Stand der Kartäuser oder der Minderbrüder, das heisst der Gürtelherren vorschlug. Was kann ich aber daraus entnehmen, als dass ich durch seine Anwesenheit von Gott gehindert worden bin, über etwas zu sprechen, was für mich nicht gut gewesen wäre? Jener aber erwiderte, der Orden der Minderbrüder in Basel gefalle ihm gut, «aber ich,» so sagte er, «könnte nicht in diesem Stand leben, wegen ihrer Unstetigkeit, das heisst, weil sie von Provinz zu Provinz geschickt werden». Ich entnahm diesen Worten, dass ihm der Orden der Kartäuser besser zusage, wegen dessen Sesshaftigkeit. Ich fragte ihn darauf, ob es nicht schade, dass die Kartäuser Eigentum in Gemeinschaft besässen. Er antwortete: «In welchem Orden du auch bist, es ist nötig, dass du von Almosen lebst. Wenn aber den Kartäusern aus Almosen schon soviel Besitz zugewachsen ist, dass es ihnen genügt, so haben sie jetzt eben keinen Almosensammler mehr nötig.» Auf diese Antwort legte sich der Zweifel in meinem Herzen.
  
Aufs neue ihn befragend, sagte ich: «Auf welche Weise soll der Mensch das Leiden Christi betrachten? Soll er sich Christus vor seinen Augen leidend vergegenwärtigen und mit ihm leiden, als wenn ein Bruder solches erleidet? Oder soll er es sich vorstellen wie etwas Vergangenes, in dem Sinne, dass Christus dies alles bereits überwunden hat und nun in Herrlichkeit herrscht, und soll er ihm darum mit Freude gratulieren, dass alle Qualen jetzt überwunden sind?» Er antwortete: «Nach welcher Art du es auch machst, ist es gut.» Und er fügte noch hinzu: «Denn Gott weiss es zu machen, dass dem Menschen eine Betrachtung so schmeckt, als ob er zum Tanz ginge und umgekehrt weiss er ihn eine Betrachtung so empfinden zu lassen, als ob er im Kampfe streite.» Als er aber vom Tanz sprach, sah ich ihn ein wenig an, als ob ich daran Ärgernis nähme, dass ein solcher Mann vom Tanzen rede. Er bemerkte es sogleich und wiederholte den Ausdruck: «Ja, als solt er an ain dantz gon.»
Dann klagte ich ihm wegen meiner Schwachheit, im Guten nicht beharrlich zu sein, d.h., dass ich den jeweils schon gefassten guten Vorsatz nicht lange festhalte, sondern dass sich der Wunsch gleich bei der ersten Gelegenheit wieder zum Unerlaubten wendet, so dass ich von Gott so fern bin wie vorher. Er antwortete, man müsse rasch wieder aufstehen. Zu meiner Beschämung muss ich gestehen, dass ich, als ich mit ihm über meinen Stand sprach, mehr zufällig etwas sagte, das wie Selbstlob geklungen haben mag, worauf er, den Eifer der Gerechtigkeit, der darin steckte, zwar anerkannte, aber trotzdem mahnte: «Nichts Gutes sollst du von dir selbst rühmen.» - Dieses wenige habe ich aus vielem, soweit ich es ins Gedächtnis zurückführen konnte, aufgezeichnet, und mich dabei nicht an die Worte, sondern an den Sinn gehalten.
    
  
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