Holzschnitt 1510
    
Nikolaus von Flüe
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   5. Motivationen · Wege der Seele · Wege der Ethik
   
Dass die Bereiche Psychologie und Ethik Überschneidungen aufweisen, wird nirgendwo deutlicher als beim Begriff «Motivation». Kommt das daher, dass die Psychologie ursprünglich ein Teil der Philosophie war, genaus so wie die Ethik? In der 3-teiligen anktiken Philosophie war die Psychologie (die Lehre von der Seele) ein Unterteil der Physik (Lehre vom Sein).
  
Das der «Motivation» zugrunde liegende Verb «motivo ist die verstärkte Form von «moveo» in der Bedeutung von «bewegen», «in Bewegung setzen», oder etwas freier interpretiert: «auf den Weg bringen». «motio» und «motus» bedeuten sodann «Bewegung», auch «Gemütsregung». Für den Begriff «Motiv» wird allgemein die Definition «Beweggrund» angenommen. Im auf dieser Website vorgestellten Relationalen Personmodell ist das Motiv je die aus der Interaktion zwischen Personkern und seinem Erfahrungshorizont entstandene innere Situation, welche eine spezifische Handlung in der Aussenwelt als sinnvoll gelten lässt, sie grundlegend bestimmt und vorbereitet. Was aber ist die Motivation? Je nach Theorie wird eine andere Definition unterlegt. Diese sollte jedoch nicht statisch sein sondern sinngemäss die Dynamik der inneren Aktivität des Menschen zum Ausdruck bringen. Die vom Personkern ausgehenden Bewegungen können wörtlich als «Emotionen» bezeichnet werden. Die Summe der Emotionen, der Antriebskräfte, welche im Stande sind, eine Handlung aus der Person heraus zu bewirken, können wir «Motivation» nennen. Im vorangegangenen Text wurde gesagt: Es gibt in extremis nur zwei Motivationen, auf einer Skala: Angst als negative und Mut als positive Motivation. Die je aktuelle Motivation ist relativ auf dieser Skala.
  
Die ethische Beratung kommt zur finalen Phase im Sprechen über die Motivation sowie der je anstehenden Motive. Wenn durch die Analyse der äusseren Situation, wo eine bestimmte Aktion der Person wünschenswert oder gefordert ist, und die entsprechende innere Situation im interaktiven Vergleich mit den Erfahrungen bereinigt ist, muss die Freiheit des Handelns zum Zuge kommen. Frei sein für eine Handlung setzt das Frei-Sein von Ängsten voraus. Angst ist eine negative Motivation, welche aus unangenehmen Effekten älterer Erfahrungen resultiert, diese sind entmutigend, demotivierend. Entmutigung ist Demotivierung, Ermutigung ist Motivierung. Die ethische Beratung versucht nun im Rahmen des Möglichen mitzuhelfen, das innere Erleben älterer, der aktuellen Situation ähnlicher Erfahrungsmomente neu zu überdenken, d. h. neu zu reflektieren. Das bringt den Ratsuchenden aber allein oft noch nicht weiter. Jetzt bekommt die Ethik ihren sinneigenen Einsatz: Bei Angst stiftenden alten Erfahrungen muss ein Hindernis übersprungen werden, und genau das ist eigentlich mit «Mut» gemeint, die Aufwendung innerer Kräfte zur Überwindung von Hindernissen. Da hilft eigentlich nur der Glaube daran weiter, dass die anstehende Aktion irgendwo in der Aussenwelt eine Verbesserung bewirkt, etwas Gutes in der Welt bewegt, in sie hineinträgt. Das ist das allgemeine Ziel einer autonomen und praktischen Ethik.
  
Ethik hat es mit dem Bereich der möglichen Wirklichkeit zu tun. Sie kümmert sich um das Gute, das noch in der Zukunft liegt. Ethik hilft bei der Entstehung von Zukunfts-Visionen. Insofern ist Ethik visionär.
  
Bei der Hilfeleistung für die Motivierung können drei Nuancen unterschieden werden: Motivationsberatung, Motivationstraining, Motivationstherapie. Je nach Erfordernis kommt die Intensität der Motivierung in der einen oder anderen Form zur Anwendung. Für die letzten beiden können auch Formen der Meditation – Imagination – hilfreich eingesetzt werden. Bilder oder einfache Symbole können herangezogen werden. Ein Beispiel: Die aufgehende Frühlingssone Sonne durchbricht den Nebel und belebt die grünenden Zweige mit ihrer Kraft (Eingangsseite). Bei der spezifisch ethischen Vorgehensweise können jedoch im Zentrum der Meditation vorausliegende Möglichkeiten stehen, deren Details bildlich vorstellbar werden. Das Vorausliegende soll im Gefühl als gut vorweggenommen werden. Es geht bei der ethischen Meditation nicht nur um die euthymischen Effekte des Wohlbefindens sondern vielmehr um das Erkennen des Wertes einer notwendigen Handlung sowie um die Vorausschau (Imagination) des Weges dieser Handlung, des Ziels und der möglichen Folgen (Effekte). Andererseits schliesst dies auch nicht aus, dass das Vorauserkennen einer guten Tat mit Gefühlen der Lust verbunden sein kann oder sogar sein soll.
  
Die jeweilige Entscheidung für das Handeln liegt immer beim Ratsuchenden selbst. Der Berater ist nur ein Helfer, ein Assistent. Es kann keineswegs darum gehen, die Anfälligkeit für die Suggestion zu vergrössern, wodurch Gedanken- und Handlungsfreiheit eingeschränkt würden. Im Gegenteil, eine autonome Ethik zielt darauf ab, immer die Selbstständigkeit des Denkens und Handelns, Selbstbestimmung, zu fördern; eine fremde Hilfe zur Motivation darf nicht einer Suggestion gleichkommen. In der autonomen Ethik kann die Beschneidung der Selbstständigkeit, der Gedanken- und Handlungsfreiheit niemals gutgeheissen werden.
   
Ein Tabu ist eine besondere Motiv-Konstellation. Bei einem Tabu werden positive Emotionen gebremst durch gesellschaftlich sanktionierte Verbote – zum Teil auch ungeschriebene Gesetze und Gewohnheiten – oder durch selbst auferlegte Hindernisse. Am Ende dominiert eine negative Motivation, die Angst und ihre besonderen Formen wie Scham, Reue, Ekel usw. – zusammengefasst ist es immer die Angst vor unangenehmen Konsequenzen. – Es gibt eine Vielzahl von Tabus. Ein Beispiel für individuelle Tabus: Wenn zwei Menschen im Jugendalter miteinander befreundet waren, kann es später im Erwachsenenalter dazu kommen, dass sie einander – oder zumindest einer von beiden dem andern – aus dem Weg gehen. Die andere Person wird zum Tabu, nicht dass man von ihr früher unmittelbar Leid erfahren hätte, im Gegenteil, in der Vergangenheit war eher etwas Lustvolles das Verbindende, z. B. wenn sich die Jugendlichen gemeinsam als Diebe betätigt hatten. Viele individuelle Tabus dürften jedoch mehr oder weniger erotischer Natur sein, so dass stärkere Emotionen der Hinwendung und Zuwendung nach aussen hin unterdrückt werden, obwohl sie im Innern durchaus immer noch aktiv sein können – Diskrepanz zwischen dem äussern Verhalten und der inneren Situation. – Es ist für die eigene Person nicht erwünscht, starke Emotionen zu haben, die nicht zur gegenwärtigen Situation zu passen scheinen, so dass bereits Wahrnehmungen abgeblockt werden, welche zu solchen Emotionen führen können.
  
Tabus sind im Erfahrungshorizont gespeicherte relationale Effekte. Wie entsteht ein persönliches Tabu? – Ein Tabu baut sich auf im innern Diskurs aus Reflexion auf Effekte von Erfahrungen, wobei sich im Voraus das Gefühl eines Verlustes vermuten lässt, wenn wir etwas Bestimmtes tun oder einem bestimmten Menschen begegnen, ja uns nur mit ihm befassen – Verlust anderer Beziehungen, Verlust an Achtung (auch Selbstachtung), Verlust an Macht (bis zur Ohnmacht), Verlust einer liebgewonnenen Meinung oder Illusion, Verlust an Existenzsicherheit, an Ordnung im Alltag, an materiellen Gütern usw. Ist ein Verlust jeweils total oder relativ?
  
Im Leben der Gesellschaft und des Individuums können Tabus als nützliche Barrieren erscheinen. Trotzdem sollten wir uns ihrer stets bewusst sein und sie von Zeit zu Zeit auf ihre Notwendigkeit hin hinterfragen. Die Menschen haben diesbezüglich eine Verantwortung. Und nicht zuletzt dürfen wir hier auch von ethischer Hygiene sprechen. Es kann immer wieder zu Situationen kommen, in denen je ein Tabu nicht nur in Frage gestellt sondern sogar durchbrochen werden muss.
  
  
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